Behandlungserfolge durch Integrative Medizin: Den ganzen Menschen betrachten – Therapiemöglichkeiten individuell anpassen

© Oliver Vogel

Interview mit den Leitenden Ärzten der Klinik für Integrative Medizin / Klinikum Heidenheim (Baden-Württemberg): Dr. Tobias Daumüller, Dr. Ulrich Geyer und Dr. Andreas Laubersheimer

Aus der vor nunmehr 76 Jahren gegründeten Belegklinik für Homöotherapie wurde kürzlich die Klinik für Integrative Medizin. Worin begründet sich diese Namensänderung?

Dr. Ulrich Geyer (UG): Dieser Name spiegelt am besten unsere Arbeitsweise wider. Wir verwenden die konventionelle Medizin, die uns mit der ganzen Expertise eines Lehrkrankenhauses der Universität Ulm zur Verfügung steht. Und wir ergänzen das Angebot um Therapieverfahren der Naturheilkunde, Homöopathie und Anthroposophische Medizin. Dieses ganzheitliche Konzept bezeichnet man als Integrative Medizin. Das eine tun, ohne das andere zu lassen. Die WHO sieht den Vorteil einer Integrativen Medizin darin, die passenden Behandlungsoptionen aus den verschiedenen Bereichen zu verbinden und patientenzentriert anzuwenden. Und genau das tun wir.
Ein besonderer Schwerpunkt liegt bei unserer Arbeit auf den äußeren Anwendungen. Jeder Patient erhält pro Tag drei verschiedene Wickel oder Einreibungen. Vom Schafgarbenleberwickel bis zum Ingwer-Lungenwickel, vom Eichenrinde-Fußbad bis zur Rosmarin- Salzeinreibung reicht unser Repertoire.

Zum Klinikum Heidenheim gehören zahlreiche Fachabteilungen. Wie kommen die Patientinnen und Patienten zu Ihnen?

Dr. Tobias Daumüller (TD): Meistens ist es so, dass Patientinnen und Patienten direkt zu uns eingewiesen werden, weil ihr behandelnder Arzt unsere Arbeit kennt oder sie von uns gehört haben. Die Patientinnen und Patienten wollen, dass wir ihre Erkrankung mit unserem speziellen Ansatz behandeln und erhoffen sich Linderung oder Besserung ihrer Beschwerden. Da wir von den gesetzlichen Krankenkassen anerkannt sind, reicht eine normale Krankenhauseinweisung für die Behandlung bei uns aus, wenn die Patienten eine Diagnose haben, die eine Krankenhauseinweisung begründet.

Welche Krankheitsbilder behandeln Sie?

Dr. Andreas Laubersheimer (AL): Prinzipiell behandeln wir alle Krankheitsbilder. Ausnahmen sind akute Psychosen, Patienten, die akut operiert werden müssen oder intensivmedizinische Patienten. Diese können wir aber mitbehandeln, wenn die Patienten dies wünschen.
Zu uns kommen Menschen mit akuten Erkrankungen wie Lungenentzündungen, Nierenbeckenentzündungen oder schweren Bronchitiden bei chronischer Lungenvorerkrankung (COPD), aber auch entzündlichen Darmerkrankungen mit einem akuten Schub. Oft sind es chronische Erkrankungen mit akuter Verschlechterung, z. B. eine tiefgreifende Erschöpfung wie Erschöpfungsdepression oder ein Burnout. Wenn die Menschen nicht mehr vital sind und im Leben keine ausreichenden Kräfte haben, dann sind sie bei uns gut aufgehoben. Andere kommen mit einem Schmerzsyndrom: Bandscheibenvorfälle, Rückenschmerzen oder Fibromyalgie. Außerdem behandeln wir neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose.

Gibt es Schwerpunkte?

TD: Ja, die eben genannten Erschöpfungserkrankungen und Schmerzsyndrome. Die Patienten wünschen sich, dass man ihnen ergänzend zur schulmedizinischen Therapie hilft oder Medikamente reduzieren oder absetzen kann. Und diesbezüglich erleben die Patienten große Verbesserungen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

UG: Wir hatten einen knapp fünfzigjährigen Mann, der nach einem viralen Infekt ein Jahr zuvor nicht mehr auf die Beine kam. Er war so erschöpft, dass er seitdem krankgeschrieben war. Als er zu uns kam, erhielt er neben verschiedenen Medikamenten aus der Natur auch täglich einen Schafgarbenleberwickel. Schon nach einer Woche Therapie fühlte er sich so fit, wie im ganzen letzten Jahr nicht mehr. Nach drei Wochen konnten wir ihn entlassen. Und schließlich wurde er wieder arbeitsfähig.

Erleben Sie solche Fälle häufig?

UG: Ja, gerade in den Erschöpfungserkrankungen liegt die Stärke unserer Therapie. Aber auch bei den Schmerzsyndromen und den anderen Erkrankungen können wir oft helfen. Und oft ändern die Patienten nach einem Aufenthalt bei uns etwas ganz Grundsätzliches in ihrem Leben, da sie gelernt haben, ihre eigene Gesundheit ernster zu nehmen.

Sie arbeiten als multidisziplinäres Team. Wie kann man sich die Abstimmungsprozesse der behandelnden Experten vorstellen bzw. wie werden individuelle Therapiepläne erstellt?

AL: Zunächst werden die Patienten von einem der Ärzte und einer Krankenschwester aufgenommen. Die Diagnostik ist erst einmal so, wie in der klassischen Medizin: Was haben die Patienten für Beschwerden? Was muss untersucht werden? Welche Krankheit liegt dem zugrunde? Dann werden jedoch auch biographische Aspekte beleuchtet: Was für Krankheiten hat der Mensch zu welchen Zeiten im Leben gehabt? Gab es belastende Ereignisse? Gab es Krisen? Gibt es Erklärungen, warum die Krankheit gerade jetzt auftritt?
Dann wird geschaut, was der Mensch für einen „Heilbedarf“ hat. Was braucht er oder sie für die Genesung? Wo kann der Therapeut am besten ansetzen? Dann wird von den Ärzten im Team eine Therapie erarbeitet. Durch regelmäßige Therapiebesprechungen, bei denen die Erfahrungen aller Therapeuten und der Pflegkräfte mit eingehen, wird dann die Therapie im Verlauf ergänzt, erweitert und umgestellt.

Dem Patienten wird offensichtlich auf Augenhöhe begegnet. Wie kann man sich das vorstellen?

TD: Auf Augenhöhe behandeln heißt für uns, den Patienten als individuellen Menschen ernst nehmen. Jeder Mensch bringt eine Geschichte mit, die zu ihm gehört. Keiner mag in eine Schublade gesteckt werden, z. B., indem man urteilt: „Alle Beschwerden sind doch nur psychosomatisch“. Wir sind natürlich die Experten, von daher macht es auch Sinn, dass wir die Therapie vorschlagen, die wir für den Betroffenen für richtig halten. Aber wir erklären ihm, warum wir etwas machen und was wir machen. Und natürlich nehmen wir Bedürfnisse und Ängste der Patienten sehr ernst. Und diese fließen mit in die Therapieentscheidung ein. Eine Therapie entsteht immer im Dialog mit dem Patienten.

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