„Heilpraktiker: Aus der Gesundheitsversorgung der Deutschen nicht wegzudenken!“
Interview mit Siegfried Kämper, Vizepräsident des BDH und Beiratsmitglied der Initiative „Gesunde Vielfalt“.
Laut einer repräsentativen Umfrage des Bundes Deutscher Heilpraktiker e.V. (BDH) von 2017 praktizieren in Deutschland rund 47.000 Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker, knapp 60.000 Menschen sind in Heilpraktikerpraxen beschäftigt. Jährlich haben diese rund 46 Millionen Patientenkontakte – im Schnitt sind das 126.000 Menschen täglich, die einen Heilpraktiker aufsuchen. Kein Wunder also, wenn sie eine wichtige Säule im Gesundheitssystem bilden: Sie begleiten oder ergänzen schulmedizinische Therapien, sichern die Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit vieler Menschen. Und nicht zuletzt entlasten sie dadurch das Gesundheitssystem. Siegfried Kämper, Vizepräsident des Bundes Deutscher Heilpraktiker (BDH) und Beiratsmitglied der Initiative „Gesunde Vielfalt“, über einen für die integrative Gesundheitsversorgung zentralen Berufsstand in Deutschland.
Herr Kämper, welche Rolle spielen Heilpraktiker in der Gesundheitsversorgung?
Heilpraktiker spielen gerade bei ergänzenden Therapien, also im komplementären Bereich, eine entscheidende Rolle. Sie sind dennoch kein Ersatz für Schulmediziner. Viele Patienten, die mit ihren Erkrankungen bei Ärzten nicht weiterkommen oder die schon unterschiedliche Fachärzte konsultiert haben, kommen zu uns. Das ist oft dann der Fall, wenn die Werkzeugkiste der Schulmediziner keine Lösungen mehr parat hat.
Welche sozioökonomische Bedeutung hat der Berufsstand im Gesundheitssystem?
Heilpraktiker nehmen aus wirtschaftlicher Sicht eine wichtige Rolle im Gesundheitssystem ein und entlasten dieses: Wir haben in Deutschland etwa 60.000 Menschen, die beim Heilpraktiker ihren Lebensunterhalt verdienen. Zudem gibt es Pharmafirmen, die Produkte herstellen, die wir exklusiv verordnen. Diese Produkte müssen von den Patienten in der Apotheke selbst bezahlt werden. Von der rund eine Milliarde Euro, die Heilpraktiker in Deutschland jährlich umsetzen, tragen die Selbstzahler laut Umfrage des BDH hochgerechnet 532 Millionen Euro bei, also über die Hälfte. Da ist eine Industrie gewachsen, an der viele Leben hängen.
Und was bedeuten Heilpraktiker für die Integrative Medizin?
Wir brauchen eine Medizin, in der die verschiedenen Disziplinen im Sinne der Patienten zusammenarbeiten. Der Bedarf ist vorhanden. Fast wöchentlich bekomme ich Anfragen von Ärzten, die gerne mit einem Heilpraktiker zusammenarbeiten möchten. Und auch in der Realität wird die Zusammenarbeit schon gelebt. Es gibt inzwischen viele Krankenhäuser, in denen Ärzte und Heilpraktiker, oft mit Krankenpfleger-Ausbildung, kooperieren und auch viele Arztpraxen, die einer solchen Zusammenarbeit aufgeschlossen gegenüberstehen. Diese Kooperationen können ein echtes Erfolgskonzept darstellen. Heilpraktiker ergänzen die Kompetenz der Mediziner mit naturheilkundlichen Verfahren, etwa dem Schröpfen. Das ist gelebte Integrative Medizin, bei der das Wohl des Patienten im Mittelpunkt steht.
Was braucht es, damit Heilpraktiker und andere Gesundheitsberufe besser als bisher zusammenarbeiten können und so ihrer Aufgabe einer patientenzentrierten Behandlung gerecht werden?
Ganz klar: eine Gesetzesänderung. Denn die Zusammenarbeit von Ärzten und Heilpraktikern wird durch rechtliche Vorgaben extrem erschwert. So ist es zum Beispiel nur in Ausnahmefällen möglich, dass beide zeitgleich bzw. nahtlos einen Patienten behandeln. Sie dürfen nur dann zusammenarbeiten, wenn der Heilpraktiker rein unterstützend tätig wird.
Das Problem ist, dass Ärztekammern sich leider immer noch gegen eine flächendeckende Zusammenarbeit zwischen den beiden Berufsgruppen stellen. Eine entsprechende und längst überfällige Gesetzesänderung für dieses Miteinander im Sinne des Patienten wurde schon vor Jahren von Alexander Kraus, seinerzeit Mitglied im Gesundheitsausschuss der CDU, gefordert.
Was können Heilpraktiker besonders gut?
Wir haben verschiedene Möglichkeiten, die Selbstheilung der Patienten ganz individuell zu unterstützen. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Manche Patienten, die unter Heuschnupfen leiden, möchten mit diesem Problem nicht zum Arzt gehen oder nicht dauerhaft verschriebene Medikamente wie kortisonhaltige Präparate einnehmen. Wenn sie zu uns kommen, suchen wir die für den Patienten am besten geeignete Behandlung. Dem einen kann eine Darmsanierung helfen, dem anderen ein homöopathisches Mittel. Wenn Patienten nach unserer Behandlung kein Antihistaminikum mehr benötigen, haben wir einen wertvollen Dienst geleistet.
Zudem können wir bei chronischen Leiden gut helfen, wie beispielsweise bei Rückenschmerzen, die die Lebensqualität deutlich einschränken. Zunächst erhalten die Betroffenen beim Orthopäden ein Angebot aus Schmerzmitteln, eine Physiotherapieverordnung oder vielleicht noch eine Elektro-Therapie. Wenn die Schmerzen jedoch anhalten, MRT und Röntgenbild keine Befunde aufweisen, die man operieren könnte, finden Betroffene bei uns oft eine Linderung der Beschwerden mit einer Vielzahl von Behandlungswegen. Heilpraktiker können aus einem riesigen Schatz an Naturheilverfahren auswählen, je nach Spezialisierung und Kompetenz.
Wie können Heilpraktiker bei psychischen Beschwerden helfen, die seit der Pandemie deutlich angestiegen sind?
Bei psychischen Krankheiten sind wir häufig eine wichtige Anlaufstelle. Natürlich behandeln wir keine Patienten mit schweren psychischen Störungen. Aber prinzipiell haben viele unserer Patientinnen und Patienten auch seelisch verwurzelte Probleme. Deshalb sollten Heilpraktiker auch auf psychologischer Ebene tiefere Kenntnisse haben. Ich mache zum Beispiel viele Hypnosebehandlungen bei Menschen mit Angststörungen. Es ist schön zu sehen, wie viele meiner Patienten mit Flugangst inzwischen wieder fliegen. In anderen Fällen wie zum Beispiel bei schweren Depressionen gibt es einen klaren Algorithmus, wie man mit der psychischen Belastung umzugehen hat. Auch wenn ich eine pseudopsychische Störung bzw. psychotische Störung vermute, muss ich den Patienten an einen Diplom-Psychologen oder psychiatrischen Arzt verweisen.
Allerdings kann die Wartezeit für eine psychotherapeutische Behandlung beim Diplom-Psychologen bis zu einem halben Jahr betragen, im Durchschnitt liegt sie bei drei Monaten. Wir haben oft schneller Zeit, entsprechend obliegt dem Heilpraktiker hier eine wichtige zusätzliche Funktion als Ansprechpartner in seelischer Not. Tatsächlich behandele ich häufig Patienten, die auf einen Therapieplatz warten und diesen dann oftmals nicht mehr benötigen – das macht mich stolz und glücklich.
Welche Sicht haben Heilpraktiker auf ihre Patienten?
Wir sehen uns als Paten der Patienten, die bei uns im Mittelpunkt stehen. Wir nehmen die Menschen so wahr, wie sie sind. Wir begleiten, stehen zur Seite und beschützen. Bei etwa einem Drittel meiner Arbeit mache ich das, was auch Hausärzte tun: Ich messe Blutdruck, kontrolliere den Puls und höre das Herz ab. Zudem frage ich meine Patienten meist in der ersten Behandlung, ob sie schon ärztlich untersucht wurden. Ich überprüfe, ob Gefahren vorliegen und wenn es meine Grenzen übersteigt, schicke ich die Patienten zu Ärzten. Ich kann aber auch vorab mit meinen Behandlungen helfen, sodass es gar nicht zu schwereren Verläufen kommt.
Wie unterscheidet sich Ihre Herangehensweise von der eines Arztes?
Wir verfügen über spezielle diagnostische Verfahren, die Hausärzte als Kassenärzte nicht ohne Weiteres durchführen können, weil diese nicht abgerechnet werden können. Etwa eine eingehendere Stuhluntersuchung, um bestimmte Schadkeime festzustellen. Denn ein Ungleichgewicht des Mikrobioms kann zum Beispiel zu neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer führen. Es ist in unserem Gesundheitssystem ebenfalls nicht vorgesehen, den Anteil der nützlichen Keime des Mikrobioms zu bestimmen. In Stuhlproben gibt es jedoch viele Marker, die auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten hinweisen, auch gehen atopische und idiopathische Hautkrankheiten oft auf ein Ungleichgewicht des Darmmilieus zurück. Wir Heilpraktiker haben die Chance, in solchen Fällen tiefer und mit mehr Zeit für unsere Patienten zu forschen als es mancher Kassenarzt tun kann.
Gibt es Beispiele von Verfahren, die dank des Einsatzes von Heilpraktikern Eingang ins Gesundheitswesen gefunden haben?
Ja, natürlich, es gibt viele und diese wurden sogar in die Gebührenordnung für Ärzte integriert. Dies sind zum Beispiel die Akupunktur, die Chiropraktik, die klassische Homöopathie, die Neuraltherapie nach Dr. Huneke oder die Heilhypnose. Die Osteopathie gehört leider noch nicht dazu, das wird sich hoffentlich noch ändern. Viele dieser Therapieverfahren kommen aus der Naturheilkunde.
Woran erkenne ich einen guten und seriösen Heilpraktiker?
Einen guten Heilpraktiker erkennt man daran, dass er schon länger praktiziert und nicht ständig seinen Praxissitz wechselt. Zudem sollte er geregelte Sprechstundenzeiten und ausreichend Patienten haben. Es muss ersichtlich ein professioneller Betrieb sein. Auch die Erfahrungen anderer Patienten und Patientinnen sind hilfreich.
Bisher gibt es keine gesetzlich geregelte einheitliche Ausbildung zum Heilpraktiker. Die amtsärztliche Abschlussprüfung, mit der die Zulassung zum Beruf gewährt wird, ist allerdings anspruchsvoll. Welche Ideen hätten Sie, um das zu ändern?
Es braucht eine einheitliche Ausbildung. Sie müsste eine schulmedizinische Grundausbildung einbinden, eine Art Curriculum mit inhaltlich definiertem Wissensumfang. Inhaltlich könnte der Lernstoff weniger als ein Medizinstudium, allerdings mehr als die Ausbildung eines Medizinischen Fachangestellten enthalten. Ähnlich dem MTA-Reform-Gesetz, wo ganz klar vorgeschrieben ist, wie viele Ausbildungsstunden ein MTA (Medizinisch-Technischer Assistent) im Bereich der Inneren Medizin absolvieren muss etc. Einen solchen Entwurf haben wir schon in der Schublade liegen und bieten diesen der Politik an. Bisher wurde dieses Angebot aber nicht angenommen, trotz entsprechender Versuche. Wir geben jedoch nicht auf. Insgesamt bin ich kein Freund der Akademisierungs-Idee unseres Berufes. Man sollte den Heilpraktiker aus meiner Sicht nicht auf eine Art kleinen Naturarzt reduzieren. Entsprechend stelle ich mich der Gesundheitspolitik, biete Vorschläge an und wünsche mir, dass wir gemeinsam eine Lösung finden.
Das Bundesministerium für Gesundheit hat im Januar 2023 ein „Empirisches Gutachten zum Heilpraktikerwesen“ ausgeschrieben – wie ordnen Sie das ein?
Ich begrüße diesen Impuls von Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Wir möchten als Heilpraktiker dazu beitragen, Transparenz, Wissen und Aufklärung in Bezug auf unseren Beruf zu schaffen.
Die Verabschiedung einer echten Reform wird sicherlich noch zwei Jahre dauern. Da wäre es gut, in der Zwischenzeit eine Arbeitsgruppe mit Berufsrechtlern und weiteren Experten zu bilden, an der ich gerne mitarbeiten würde. Man könnte zum Beispiel ein Kammersystem für Heilpraktiker entwickeln, also eine Art Selbstverwaltung. So hätten wir Mitspracherecht, wenn es beispielsweise darum ginge, die Grenzen des Berufes auszuloten.
Warum sind Heilpraktikerpraxen aus Ihrer Sicht für die Patienten sicher?
Es gibt Gesetze und Bestimmungen wie das Infektionsschutzgesetz, die RKI-Richtlinien und die KRINKO-Empfehlungen sowie die TRBA 2050, eine technische Regel für biologische Arbeitsstoffe. Es gibt also Regelwerke, die vorschreiben, wie man in einer Heilpraktiker-Praxis zur arbeiten hat. Diese Auflagen sollte jeder kennen und muss auch jeder erfüllen, sie sind Gegenstand der Heilpraktikerprüfung. Zudem haftet man dafür. Heilpraktikerpraxen sind sicher, sie werden auch von Amtsärzten geprüft.
Wie sehen Sie die Zukunft von Heilpraktikern? Was ist Ihre Vision für die Rolle der Heilpraktiker im Gesundheitswesen – und einer patientenzentrierten, integrativen Medizin?
Wir Heilpraktiker sind schon jetzt ein wichtiger Teil der integrativen Versorgung der Bevölkerung. Diese Entwicklung wird sicher noch weiter voranschreiten. Dafür könnte auch die in Angriff genommene Reform sorgen, denn wir Heilpraktiker wollen uns gemeinsam mit dem Gesundheitssystem weiterentwickeln. So viel steht doch jetzt schon fest: Aus der Gesundheitsversorgung der Deutschen sind wir Heilpraktiker heute nicht mehr wegzudenken!