Integrative Medizin: Bezahlbarer Mehrwert für alle

© ©MK Fotografie, Cramer, Ostermann

Aktuelle Studien zur Wirtschaftlichkeit von Naturmedizin

Integrative Medizin erweist sich als kosteneffzient, wie aktuelle Studien belegen. Das gilt kurz, aber auch mittel- und langfristig. Denn: Therapien der Komplementärmedizin wirken nicht nur per se. Sie geben Patientinnen und Patienten auch wertvolle Impulse, ihre Gesundheitskompetenz zu erweitern und auf diese Weise mehr Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen. Gerade Patienten mit chronischen Erkrankungen und Volksleiden profitieren davon. Sie bleiben nachhaltiger gesund, benötigen dauerhaft weniger Medikamente. Ebenfalls gibt es Hinweise auf langfristige Kostenersparnis durch den Einsatz komplementärer Verfahren, indem Antibiotikagaben reduziert und gefürchtete Antibiotika-Resistenzen vermieden werden.
Integrative Medizin ist in Deutschland nicht nur beliebt, sie ist für das belastete Gesundheitssystem auch bezahlbar. „In Deutschland nutzen knapp 70 Prozent der Bevölkerung komplementärmedizinische Verfahren“, sagt Prof. Holger Cramer, der diese am Universitätsklinikum Tübingen erforscht, und betont: „Erste Studien, auch aus Deutschland, weisen darauf hin, dass viele dieser Methoden wirksam, sicher und kostenffzient sind.“
Was genau das bedeutet, erläutert der Experte: „Eine Intervention gilt als kostenffzient, wenn die über die Standardbehandlung hinausgehenden Wirkungen einen zuvor festgelegten Kostenrahmen nicht überschreiten.“
Wie sich gezeigt habe, verursachten beispielsweise integrativmedizinische Stationen in Krankenhäusern keine höheren Kosten, trotz des deutlich höheren Aufwandes für das Personal.

„Erste Studien, auch aus Deutschland, weisen darauf hin, dass viele dieser (komplementären) Methoden wirksam, sicher und kosteneffizient sind. Integrativmedizinische Stationen in Krankenhäusern etwa verursachen keine höheren Kosten, trotz des deutlich höheren Aufwandes für das Personal.“

Prof. Holger Cramer, Professor für die Erforschung komplementärmedizinischer Verfahren,
Universitätsklinikum Tübingen

Integrative Medizin bei Volkskrankheiten

Tatsächlich sind es gerade auch große Volkskrankheiten, deren naturmedizinische Behandlung nicht nur effektiv ist, sondern auch kosteneffizient. Prof. Rogier Hoenders, Leiter des Zentrums für Integrative Psychiatrie in Groningen (NL), zählt auf: „Zu den komplementärmedizinischen Verfahren, die sich im Vergleich zu herkömmlichen therapeutischen Verfahren als kosteneffektiv erwiesen haben, gehören Akupunktur bei Migräne, manuelle Therapie bei Nackenschmerzen, Hydrotherapie bei Parkinson-Krankheit, eigenverantwortlich angewandtes Stressmanagement für Krebspatienten bei Chemotherapie, prä- und postoperative orale Nahrungsergänzung bei Operationen im Magen-Darm-Bereich, Biofeedback für Patienten mit funktionalen Störungen wie etwa Reizdarmsyndrom (IBS – Irritable bowel syndrom) sowie Visualisierung, Entspannungstherapie und eine kaliumreiche Diät für Herzpatienten.“

„Zu den komplementärmedizinischen Verfahren, die sich im Vergleich zu herkömmlichen therapeutischen Verfahren als kosteneffektiv erwiesen haben, gehören beispielsweise … Akupunktur bei Migräne, … Hydrotherapie bei Parkinson-Krankheit … sowie Visualisierung, Entspannungstherapie und eine kaliumreiche Diät für Herzpatienten.“

Prof. Rogier Hoenders, Psychiater und Leiter des Zentrums für Integrative Psychiatrie, Reichsuniversität Groningen/Niederlande

Naturmedizin gegen Antibiotika-Resistenzen

Das Miteinander von konventioneller und Komplementärmedizin hat aber womöglich auch eine Antwort auf eine drängende, weltweite Herausforderung: die zunehmenden Antibiotika-Resistenzen. Wie eine in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ Ende September 2024 veröffentlichte Analyse (3) in einem Referenzszenario prognostiziert, werden bis zum Jahr 2050 weltweit mehr als 39 Millionen Menschen durch Infektionen mit Antibiotika-resistenten Bakterien sterben. Bei weiteren 169 Millionen Todesfällen können solche Erreger zumindest eine Rolle spielen. Aktuell sterben in der Europäischen Union 35.000 Menschen jährlich an Infektionen durch resistente Bakterien (4).

In der Integrativen Medizin kommen auch Arzneimittel aus der Naturmedizin zum Einsatz, die nachweislich nicht nur nebenwirkungsärmer als chemisch-synthetische Präparate sind. Sie können auch den Einsatz von Antibiotika reduzieren, wie eine Studie zeigt. „Rund 60 Prozent aller Antibiotika-Verordnungen werden bei Infektionen der oberen Atemwege verschrieben“, erläutert Prof. Thomas Ostermann, Professor für Forschungsmethodik und Statistik in der Psychologie, Institut für Psychologie und Psychotherapie an der Universität Witten/Herdecke: „Weil die meisten dieser Entzündungen durch Viren und nicht Bakterien verursacht werden, können diese Medikamente ihre Wirksamkeit nicht entfalten und fördern hingegen Resistenzen gegen den Wirkstoff.“ Die unterstützende Anwendung von Homöopathika könne nicht nur dazu beitragen, den Einsatz von Antibiotika potenziell zu verringern. Sie sei auch kosteneffektiv bei wiederkehrenden Mandelentzündungen. „Ebenso können dadurch kostenintensive Mandelentfernungen (Tonsillektomien) verhindert werden“, betont Prof. Thomas Ostermann. Die entsprechende Kosteneffektivitätsstudie (5) hat sein Team gemeinsam mit dem „Department of Health Policy“ der London School of Economics and Political Science durchgeführt.

„Die unterstützende Anwendung von Homöopathika kann dazu beitragen, den Einsatz von Antibiotika potenziell zu verringern. Sie ist auch kosteneffektiv bei wiederkehrenden Mandelentzündungen. Ebenso können dadurch kostenintensive Mandelentfernungen (Tonsillektomien) verhindert werden.“

Prof. Thomas Ostermann, Professor für Forschungsmethodik und Statistik in der Psychologie, Institut für Psychologie und Psychotherapie, Universität Witten/Herdecke

Forderung nach Forschungsförderung

Auch angesichts solch evidenzbasierter Erkenntnisse und Forschungserfolge sind sich die Experten einig, dass mehr Studien zur Kosteneffizienz innerhalb der Integrativen Medizin notwendig sind: „Steigende Kosten im Gesundheitswesen machen ökonomische Evaluationen für weitere Entscheidungen erforderlich. Kosteneffektivitätsstudien sind entscheidend, um die sozioökonomische Relevanz der Integrativen Medizin zu bewerten. Dafür werden dringend mehr qualitativ hochwertige Studien in diesem Bereich benötigt“, fordert Prof. Thomas Ostermann von der Universität Witten/Herdecke. Prof. Rogier Hoenders von der Reichsuniversität Groningen ergänzt: „Erkenntnisse aus der ökonomischen Modellierungsforschung weisen darauf hin, dass die Verbindung von Traditioneller und Komplementärer Medizin (T&CM) mit konventioneller Medizin auf lange Sicht Kosteneffizienz verbessern kann, auch wenn dies für die meisten Methoden der Traditionellen und Komplementären Medizin noch evaluiert werden muss.“

Dem kann Prof. Cramer vom Universitätsklinikum Tübingen nur zustimmen: „Es wäre wichtig, gezielt Forschung zu unterstützen, die häufig genutzte Methoden nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin überprüft und die Spreu vom Weizen trennt. Dies deckt sich auch mit der Forderung der Weltgesundheitsorganisation WHO, die ihre Mitgliedsstaaten aufgefordert hat, hinreichend finanzielle und ideelle Unterstützung zur Verfügung zu stellen, um zu untersuchen, wie komplementärmedizinische Verfahren überprüft und bei nachgewiesener Wirksamkeit in das Gesundheitssystem integriert werden können.“

Erfolge und Kostenersparnis bei internistischen Erkrankungen und Depressionen

Achtsamkeitsbasierte Verfahren zur Stressreduktion kommen ergänzend hinzu – sowohl, was die Wirksamkeit, als auch die Kosteneffizienz betrifft. „Yoga etwa hat sich in klinischen Studien als sehr wirksam in der Behandlung chronischer Schmerzen des Bewegungsapparates erwiesen, insbesondere bei Rückenschmerzen, wo Yoga, basierend auf unseren Forschungen, auch Einzug in die nationale Versorgungsleitlinie gefunden hat“, berichtet Prof. Holger Cramer. „Wir konnten in unseren Studien auch Wirkungen u.a. bei internistischen Erkrankungen wie Reizdarm, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und Bluthochdruck zeigen.“ Einige weitere Studien wiesen zudem darauf hin, dass die gesundheitlichen Vorteile von Yoga, insbesondere bei Rückenschmerzen, aus gesellschaftlicher Sicht kosteneffizient sind. „Die Studien (1) unterstützen daher den therapeutischen Einsatz von Yoga“, erläutert Alina Schleinzer, wissenschaftliche Mitarbeiterin von Prof. Cramer.
Diese Einschätzung bestätigt auch eine 2024 veröffentlichte Studie (2) der Forschungsgruppe um Prof. Rogier Hoenders: Junge Frauen im Alter von 18 bis 34 Jahren, die an einer depressiven Störung erkrankt waren, erhielten ergänzend zur herkömmlichen Behandlung für 15 Monate Anleitungen in „Mindful Yoga“. Dazu gehörten Körper- und Atemübungen, Meditation sowie das Praktizieren von Achtsamkeit. „Die Gesamtkosten für die herkömmliche Behandlung beliefen sich auf 13.818 €“, so Prof. Hoenders, „die Ausgaben für die Kombination mit Mindful Yoga auf 11.966 €. Dieser Ansatz scheint sich daher als kosteneffizient zu erweisen.” Die finanziellen Unterschiede ließen sich, seinen Angaben zufolge, vor allem durch gesellschaftliche Kosten erklären, die durch Arbeitsunfähigkeit entstehen. Diese waren „substanziell niedriger” in der Gruppe, die zusätzlich Mindful Yoga praktizierte, als in der Kontrollgruppe, die nur die herkömmliche Behandlung erhalten hatte.

Therapeutische Lebensstiländerungen senken Kosten

Ein weiterer Aspekt, der die Bezahlbarkeit Integrativer Maßnahmen unterstreicht: Integrative Medizin fördert die Gesundheitskompetenz und einen nachhaltigeren Lebensstil des Einzelnen. Das kann zwei positive Auswirkungen haben: Zum einen auf derzeit noch zunehmende Zahlen bei chronischen Erkrankungen in alternden Gesellschaften: „Tatsächlich wird der Beitrag des Lebensstils zu modernen chronischen Krankheiten auf 80 Prozent und sogar 95 Prozent geschätzt“, so Prof. R Hoenders. Zum anderen aber auch auf damit verbundene, derzeit stetig steigende Kosten im Gesundheitswesen. „Das Ansteigen der Kosten scheint in großem Maße verbunden zu sein mit chronischen Erkrankungen und einem bestimmten Verhalten oder Lebensstil hinsichtlich Ernährung, Bewegung und Rauchen“, sagt Prof. R Hoenders. Er bezieht sich dabei auf seine Studie (6) und auf Zahlen aus den USA, Brasilien und den Niederlanden. Auch in Deutschland nehmen die Ausgaben zu, zuletzt um 12 Prozent. Hoenders kommt zu dem Ergebnis: „Eine mögliche Strategie Kosten zu senken, besteht darin, Patienten zu ermutigen, eine aktivere Rolle bei ihrer Gesundung zu spielen. Dazu beitragen könnten therapeutische Lebensstiländerungen wie Bewegung, Ernährung und Entspannung. Es mehren sich die Nachweise darauf, dass Veränderungen im Lebensstil effektiv die Gesundheit verbessern.“

Prof. Holger Cramer, der ebenfalls an dieser Studie beteiligt war, argumentiert mit einem weiteren Beispiel aus den USA: „Lebensstil-assoziierte Erkrankungen verursachen neben großem persönlichem Leid auch enorme gesellschaftliche Kosten. Daher sind finanzielle Mittel, die in die Veränderung schädlicher Verhaltensweisen investiert werden, häufig sehr gut angelegt. So sparten die Vereinigten Staaten für jeden in ihre Anti-Raucher-Kampagne investierten Dollar mehr als 6,80 Dollar an Gesundheitsfolgekosten ein.“ Bekommen Menschen durch eine Behandlung im Miteinander aus konventioneller und komplementärer Medizin Wege aufgezeigt, wie sie gesünder leben, wirkt sich das also mittel- und langfristig auf das Gesundheitssystem aus: Sie werden seltener krank, weniger Kosten entstehen.

(1) Aboagye E, Karlsson ML, Hagberg J, Jensen I. Cost-Effectiveness of early interventions for non-specific low back pain: a randomized controlled study investigating medical yoga, exercise therapy and self-care advice. J Rehabil Med; 2015 Feb; 47(2):167-73.
(2) Vollbehr NK, Stant AD, Hoenders HJR et al: Cost-effectiveness of a mindful yoga intervention added to treatment as usual for young women with major depression disorder versus treatment as usual only: Cost-effectiveness of yoga for young women with depression. Psychiatry Res. 2024 Mar; 333:115692.
(3) Naghavi M, Vollset SE, Ikuta KS et al. Global burden of bacterial antimicrobial resistance1990–2021: a systematic analysis with forecasts to 2050. The Lancet 2024; 404:1199-226.
(4) European Centre for Disease Prevention and Control zum European Antibiotic Awareness Day: https://www.ecdc.europa.eu/sites/default/files/documents/AMR%20brief%20-%20EAAD%202023_DE.pdf
(5) Ostermann T, Park AL, De Jaegere S et al. Cost-effectiveness analysis for SilAtro-5-90 adjuvant treatment in the management of recurrent tonsillitis, compared with usual care only. Cost Eff Resour Alloc 2021;19(1):60. doi: 10.1186/s12962-021-00313-4. 
(6) Hoenders R, Ghelman R, Portella C et al. A review on the WHO strategy on traditional, complementary, and 0integrative medicine from the perspective of academic consortia for integrative medicine and health. Front Med 2024;11: 1395698. doi: 10.3389/fmed.2024.1395698.

Über die Initiative „Gesunde Vielfalt“

Die Initiative „Gesunde Vielfalt“ ist ein unabhängiger Zusammenschluss von Expertinnen und Experten unterschiedlicher Therapieformen. Unser Ziel ist, das Zusammenwirken von konventionellen und komplementären Therapien – die Integrative Medizin – stärker in den Vordergrund der Diskussion zu rücken, um notwendige Verbesserungen des Gesundheitssystems anzustoßen. Wir stehen dabei für den gegenseitigen Respekt der Therapieformen und Heilberufe. Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Wir setzen uns für einen Paradigmenwechsel ein: Der Patient, die Patientin muss zum gleichberechtigten Akteur neben dem Arzt, der Ärztin werden, um das Gesundheitswesen nachhaltig zu reformieren. Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt auf der Information und Aufklärung der Öffentlichkeit, der Nähe zur Praxis und Vernetzung von Ärztinnen, Ärzten, Apothekerinnen und Apothekern und Heilberufen im Sinne der Patientinnen, der Patienten. Wir verstehen uns als Plattform und Impulsgeber für einen ideologiefreien, offenen Diskurs um die Verbesserung des Gesundheitswesens in Deutschland.

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