MdB Stephan Pilsinger (CSU): „Ich bin offen für Integrative Medizin“

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Zehn Tage stationärer Aufenthalt können reichen, um chronisch kranke Menschen nachhaltig dabei zu unterstützen, mehr Lebensqualität zu erfahren: Davon konnte sich MdB Stephan Pilsinger (CSU) bei einem Besuch im Krankenhaus für Naturheilweisen (KfN) in seiner Heimatstadt München überzeugen. Der Politiker und Hausarzt nannte die Komplementärmedizin mit ihrer „reichen Erfahrung in der Naturheilkunde und der Klassischen Homöopathie“ einen „wichtigen Baustein im Gesundheitssektor“.

„Es geht uns um ein respektvolles Miteinander von konventioneller und komplementärer Medizin“

Dr. Michaela Moosburner, Chefärztin KfN

„Und ich könnte hier Patienten einweisen?“, fragt Stephan Pilsinger staunend, „die gesetzlich versichert sind?“ „Bei chronisch kranken Patienten, die trotz Behandlung weiterhin Beschwerden haben, ist das in der Regel kein Problem“, entgegnet Robert Schmidt, Chefarzt des Krankenhauses für Naturheilweisen (KfN) im Münchner Süden. Die beiden Männer – Janker hier, weißer Kittel dort – stehen mitten in der Physikalischen Abteilung des traditionsreichen Krankenhauses: türkis-weiße Bodenkacheln, Bäder für Kneipp‘sche Güsse, Kabinen für osteopathische Behandlungen und ein „Schlingentisch“, der Menschen mit Bandscheibenvorfall Linderung verschafft. Vor dem Fenster leuchtet das frische Frühjahrslaub des Perlacher Forst, „ein schöner Ausblick“, lobt Pilsinger spontan. Aus Studien weiß Schmidt, dass die Farbe Grün Patienten helfen kann, schneller zu heilen.

Der Mediziner zeigt sein Haus nicht nur dem 37 Jahre alten Münchner Politiker, der für die CSU seit 2017 als Direktkandidat in Berlin im Bundestag sitzt. Er zeigt es auch dem Kollegen, der in Teilzeit in einer großen Hausarztpraxis im Nordwesten der bayerischen Hauptstadt arbeitet. Dort ist er nicht Volksvertreter, sondern Praktiker – und hat die Erfahrung gemacht, „dass Naturheilkunde vielen Patienten hilft und deswegen eine sinnvolle Ergänzung ist“, wie Pilsinger sagt: „Entscheidend dabei ist, die Grenzen der Naturheilkunde zu kennen und zu wissen, ab welchem Punkt die Schulmedizin gebraucht wird. Gleichzeitig gilt für mich: Wer heilt, hat Recht.“ Einer Einladung der Initiative Gesunde Vielfalt ins Krankenhaus für Naturheilweisen ist Pilsinger, der kürzlich seine Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmediziner erfolgreich abgeschlossen hat, deshalb im April 2024 gerne gefolgt: zu einem Austausch auf Augenhöhe und darüber, wie sich in Zukunft konventionelle und komplementäre Medizin besser verbinden lassen könnten im Sinne einer Integrativen Medizin.

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Austausch auf Augenhöhe (von links): KfN-Geschäftsführer Stefan Begemann, MdB und Hausarzt Stephan Pilsinger, Chefarzt Robert Schmidt, Chefärztin Dr. Michaela Moosburner, Stephan Kühne von der Initiative Gesunde Vielfalt und KfN-Pflegedirektorin Barbara Prinz

Schulmedizinische Behandlungen nicht ersetzen, sondern sinnvoll ergänzen

Das kleine Krankenhaus mit seinen 110 Betten war bereits „Vorläufer der Integrativen Medizin“ sagt Robert Schmidt auf dem Rundgang, „als es diesen Begriff noch gar nicht gab.“ Das war 1968, als das einstige Homöopathische Krankenhaus an neuem Standort inklusive einer kleinen Privatstation wiedereröffnete und seither seinen jahrzehntelangen Erfahrungsschatz zusammen mit klassischer Naturheilkunde nach Sebastian Kneipp in moderne Schulmedizin integriert. Heute werden hier nahezu sämtliche chronischen Erkrankungen diagnostiziert und therapiert – im Notfall auch in Zusammenarbeit mit den Kollegen im Harlachinger Krankenhaus direkt nebenan, mit dem das KfN baulich unmittelbar verbunden ist. „Wir sind eine internistische Fachklinik“, fügt Schmidt hinzu, „unsere Patienten kommen aus allen schulmedizinischen Disziplinen. Deren Behandlungen wollen wir nicht ersetzen, sondern sinnvoll ergänzen“, betont der Chefarzt, „und im Team mit den behandelnden Ärzten.“ „Dabei geht es uns um ein respektvolles Miteinander“, fügt Chefärztin Dr. Michaela Moosburner hinzu, die das KfN gemeinsam mit Robert Schmidt in einer Doppelspitze leitet. „Wir arbeiten wissenschaftsbasiert und auf Basis bewährter Erfahrungsheilkunde“, ergänzt Robert Schmidt, der auch dem Beirat der Initiative Gesunde Vielfalt angehört. Zum Einsatz in seinem Krankenhaus kommen auch Anwendungen der Traditionellen Europäischen Medizin mit Wickeln, Schröpfen, Aderlass und, ja, Blutegeln. Ein paar davon tummeln sich einem verschlossenen Glas, das Pflegedirektorin Barbara Prinz für den Gast bereitgestellt hat – und von Pilsinger interessiert betrachtet wird.

„Die haben sich wunderbar bewährt bei degenerativen Gelenkserkrankungen“, erklärt Robert Schmidt, „dazu gibt es viele kleinere Studien, etwa auch von Prof. Andreas Michalsen von der Charité in Berlin.“ Das Problem sei nur, dass für eine Zulassung als Medikament große Studien fehlten, da diese niemand finanzieren könne. Stephan Pilsinger nickt. „Mit den Blutegeln haben wir Effekte, die ein Jahr lang und länger anhalten“, fügt Schmidt an. „Schmerzlinderung?“, fragt Pilsinger. Nun nickt Robert Schmidt.

Klagen seine Patienten über Schmerzen, versucht der Hausarzt Pilsinger, ihnen mit verschiedenen Schmerzmitteln zu helfen. Beim Verschreiben folgt Pilsinger dem Stufenschema der Weltgesundheitsorganisation (WHO). „Trotzdem hat mancher Patient, wenn er schließlich austherapiert ist, immer noch Beschwerden“, sagt Pilsinger und ergänzt: „Gerade bei chronischen Erkrankungen stößt die Schulmedizin an ihre Grenzen, da macht die Komplementärmedizin meiner Ansicht nach einen signifikanten Unterschied, vor allem auch für das Wohlbefinden der Patienten.“ Robert Schmidt regt an, „noch früher einzusteigen“: „Wir haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht, parallel anzusetzen mit phytotherapeutischen Schmerzmitteln, die etabliert sind, mit Wickeln, Auflagen, Blutegeln, Neural- oder Misteltherapie, damit lässt sich viel erreichen.“ So ließe sich oft auch der Bedarf an herkömmlichen Schmerzmitteln reduzieren, die nicht jeder Patient nebenwirkungsfrei vertrage.

„Naturheilkunde hilft vielen Patienten und ist eine sinnvolle Ergänzung zur Schulmedizin“

MdB und Hausarzt Stephan Pilsinger (CSU)

Je motivierter die Patientinnen und Patienten sind, desto länger bleiben Effekte des stationären Aufenthaltes spürbar

Die Zahlen scheinen Schmidt Recht zu geben: Wie eine Befragung des Krankenhauses für Naturheilweisen zwischen Januar und Dezember 2023 ergab, fühlen sich 83 Prozent der Patienten „besser oder viel besser“, wenn sie die Klinik verlassen. „Das gilt nicht für jeden Patienten“, fügt Schmidt hinzu, „aber umgekehrt gibt es Menschen, die rückblickend sagen: Vorher war ich bei acht von zehn Punkten auf meiner Schmerzskala, und als ich nach Hause zurückkehrte, war ich bei eins oder zwei. Je nachdem, wie man selbst weitermacht, kann dieses Ergebnis viele Monate aufrechterhalten werden.“ Das Zauberwort dazu lautet: „Motivation“. „Unser Ziel ist es, die Patienten wirklich zu aktivieren“, betont Robert Schmidt: „Es handelt sich ja vor allem um chronisch kranke Patienten, die weiterhin chronisch krank sein werden. Der Aufenthalt bei uns soll ihnen guttun, aber sie sollen vor allem auch etwas mitnehmen, Anregungen, wie sie ihren Lebensstil so verändern, dass es ihnen langfristig besser geht.“ Pflegedirektorin Barbara Prinz ergänzt: „Die Patienten haben die Möglichkeit, wieder Selbstwirksamkeit zu erlangen und einen Weg zu finden, besser mit ihren Beschwerden umzugehen. Und das ist ein Wendepunkt, ein Wendepunkt im eigenen Handeln.“

„Die Zeit bei uns soll den Patienten guttun, ihnen aber auch Methoden an die Hand geben, ihren Lebensstil so zu verändern, dass es ihnen langfristig besser geht.“

Robert Schmidt, Chefarzt KfN

Binnen nur zehn Tagen Aufenthalt lernen die Patienten viele einfache Methoden kennen, deren Wirkung und wie sie sich damit auch selbst helfen können: Wickel mit Quark oder Zitrone, Rapssaat für „Handbäder“ bei rheumatischer Arthritis, Tees mit Heilkräutern wie Schafgarbe oder Viola (Wildes Stiefmütterchen), Bockshornklee- oder Senfsaat für Fußbäder oder Kompressen bei Nasenneben- oder Stirnhöhlenentzündungen, Einreibungen oder Waschungen mit ätherischen Ölen. Am KfN entwickeln Aromatherapeuten sogar eigene Ölmischungen, „etwa zur Schmerzlinderung, kühlend oder wärmend, je nach individuellem Bedarf des Patienten“, so Barbara Prinz. Bis auf das Setzen der Blutegel übernehmen Pflegekräfte diese Anwendungen, „das macht den Pflegeberuf bei uns besonders attraktiv.“ Ganz neu wird zusätzlich Waldbaden angeboten, im Perlacher Forst gleich vor der Tür, auch das lässt sich unkompliziert in den eigenen Alltag einbauen.

Gesunde Ernährung aus der eigenen Krankenhausküche als Einstieg, das eigene Essverhalten nachhaltig zu verändern

„Machen Sie auch Ernährungsmedizin?“, fragt Stephan Pilsinger interessiert nach. „Das scheint mir ein wichtiges Thema, wo doch die Menschen immer übergewichtiger werden.“ Und ob. „Neben Phyto-, Ordnungs-, Bewegungs- und Hydrotherapie ist die Ernährungstherapie eine der fünf Säulen der Naturheilkunde, um die Selbstheilungskräfte zu stimulieren“, erklärt Robert Schmidt. „Wir haben sogar eine eigene Küche, darauf sind wir sehr stolz.“ Dort wartet schon Chefkoch Joachim Heinze und erklärt dem Gast angesichts einer Übersicht an der Wand, welche Speisen für jeden Patienten ganz individuell zubereitet werden.

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Chefkoch Joachim Heinze erklärt MdB Stephan Pilsinger die individualisierte Ernährungstherapie im KfN

„Alles, was hier in Rot vermerkt ist, darf derjenige nicht bekommen“, sagt Heinze, etwa Nahrungsmittel mit Histamin, Gluten, Laktose oder Fructose, vor oder nach einer Chemotherapie. „Wir versuchen möglichst saisonal und regional zu kochen, mediterran angelehnt, vegetarisch oder unsere Vitalkost, die ist fast vegan, mit wenig tierischem Eiweiß. Oft lassen wir auch Weizen weg, das steht im Ruf, dick zu machen. Pilsinger kennt das Thema gut: „Viele meiner Patienten nehmen zu viele Kalorien zu sich und sie essen zu viel Brot. 80 Prozent von ihnen ist nicht klar, dass es sich dabei letztlich um Kohlenhydrate und damit um Zucker handelt. Es ist wirklich bitter, dass das banalste Wissen über Ernährung oft nicht mehr vorhanden ist.“ Er selbst hat sich, seit er in Berlin arbeitet und viele Essenseinladungen erhält, Intervallfasten angewöhnt: „Ich esse nur zwischen 13 Uhr und 21 Uhr und damit hab ich‘s im Griff“, erklärt er. „Bei uns erleben Patienten, dass sie gesund essen können und es sogar schmeckt“, sagt Michaela Moosburner. Patienten können zudem erste Erfahrungen sammeln mit Kartoffel- oder Hafertagen und Heilfasten nach Buchinger. „Dabei geht es nicht darum, abzunehmen“, betont Joachim Heinze, „es kann aber ein Einstieg dazu sein, seine Ernährung umzustellen und seinen Lebensstil zu ändern.“

„Das ist sehr spannend“, entgegnet Stephan Pilsinger, als die kleine Gruppe die Küche wieder verlässt, „ich selbst sehe einen Patienten nur zehn Minuten, da habe ich nicht die Zeit für eine solche Beratung.“ Diese Lücke lasse sich ambulant gar nicht schließen, zumal viele Hausärzte keine Nachfolger fänden. „Ich bin offen für Integrative Medizin“, sagt der Politiker und Hausarzt abschließend. „Meine ärztlichen Kollegen müssten aber zunächst einmal mehr darüber informiert werden, welche Optionen es eigentlich gibt, das fehlt bisher. Viele wissen auch nicht, dass sie Patienten ins KfN einweisen können. Sie sollten eine Veranstaltung beim Verband der Bayerischen Hausärzte machen“, überlegt Stephan Pilsinger. „Und Sie könnten uns einmal einen Patienten schicken und so von ihm direkt erfahren, was er bei uns gelernt hat“, entgegnet Robert Schmidt.

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