Homöopathie in der Praxis: Studien und Erfahrungswerte

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Stefan Reis ist Heilpraktiker mit eigener Praxis seit 1987. In seiner täglichen Arbeit setzt er fast ausschließlich Homöopathie ein. Welche Vorzüge, aber auch Grenzen Homöopathie hat und wo sie sich als Therapieform eignet, erläutert der Experte in diesem Interview.

Warum nutzen Sie Homöopathie in Ihrer Praxis?

Ich habe meine Ausbildung zum Heilpraktiker an einer der renommiertesten Schulen in Bochum vornehmen können. Neben dem medizinischen Rüstzeug bekamen wir dabei auch Grundausbildungen in allen gängigen naturheilkundlichen Therapiemethoden. Bei der Frage, mit welcher Therapie wir auch chronische Erkrankungen kurativ behandeln könnten, boten sich mir dabei nur die TCM (traditionelle chinesische Medizin) und die Homöopathie an – beides sehr komplexe Konzepte. Ich entschied mich für Homöopathie.

Von der Homöopathie heißt es gerne, sie wirke nicht über den Placeboeffekt hinaus. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Die Wirksamkeit zeigt sich immer wieder deutlich in der Praxis. Diese Erfahrung ist – als „interne Evidenz“ – eine wichtige Säule der evidenzbasierten Medizin (EBM) nach Definition von Prof. David Sackett . Nehmen wir beispielhaft einen Patienten, der über Jahre schon Vieles gegen seine Krankheit getan, dem aber nichts genutzt hat: Wenn dieser mithilfe der homöopathischen Behandlung unmittelbar eine signifikante, anhaltende Verbesserung erfährt, die man nicht durch naheliegende Einflüsse, wie günstige Witterung, weniger Pollenflug oder erfreuliche Nachrichten erklären kann, dann spricht Vieles für den heilsamen Einfluss der homöopathischen Arznei. Oder wenn ich zu Beginn der Behandlung ein oder zwei zum Beschwerdebild nicht passend gewählte Arzneien gebe und erst die nächste eine positive Reaktion erzeugt: Warum sollte eine Placebowirkung erst jetzt einsetzen? Die Beobachtung, dass eine fachgerechte homöopathische Behandlung in zahlreichen Fällen Linderung von Beschwerden oder womöglich Heilung zur Folge hat, ist regelmäßig in der Praxis zu sehen. Und mit dieser Wahrnehmung bin ich natürlich nicht allein. In den mehr als 200 Jahren ihres Bestehens hat sich die Homöopathie in zigtausenden gut dokumentierten Krankheitsfällen als hilfreich erwiesen. Kein Wunder also, dass auch die Patienten darauf zählen. Das zeigen auch Umfragen immer wieder. Im Übrigen sind diese Patientenpräferenzen die dritte Säule der EBM – sie steht für die Erfahrung der Patienten.

Wie ist die Studienlage zur Homöopathie?

Da gibt es zahlreiche gut gemachte Studien, die dem aktuellen Goldstandard der Wissenschaft entsprechen. Aus meiner Sicht zeigen dabei die Grundlagen- und die Versorgungsstudien die überzeugendsten Resultate. Für klinische Studien ist es, entsprechend dem streng individualisierenden Charakter der Homöopathie, etwas komplizierter, ein zielführendes Studiendesign zu entwickeln. Fasst man die Studienlage zusammen, zeigt diese eindeutig positive Anzeichen, die über den Placeboeffekt hinaus geht. Daran ändert das ständig wiederholte Narrativ der angeblichen Wirkungslosigkeit nichts. Informative Quellen hierzu finden sich auf den Webseiten des Homeopathy Research Institute in London und der Universität Bern.

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Globuli sind eine homöopathische Arzneimittelform

Welche Art von Patienten sucht Ihre Praxis auf?

Das Spektrum ist groß, sowohl was die Indikationen angeht, als auch hinsichtlich der Motive für eine homöopathische Behandlung. Viele sind von der Homöopathie als hilfreiche Therapie überzeugt. Oft kommen auch Patienten, für die die konventionelle Medizin wenig Angebote bereithält oder jene, die mitunter heftige Nebenwirkungen fürchten. Gerade von diesen Patienten sind übrigens einige der Homöopathie gegenüber zunächst sehr skeptisch. Das ändert sich natürlich, wenn die Behandlung Erfolg zeigt. Typische Krankheitsbilder in der homöopathischen Praxis sind allergische Krankheiten, Neurodermitis und andere Hautleiden, chronische Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Autoimmunerkrankungen.

Was kann die Homöopathie in diesen Fällen leisten?

Am Beispiel der Neurodermitis zeigt sich, dass es durchaus gelingen kann, mit Hilfe von Homöopathie eine vollständige und dauerhafte Heilung zu erzielen. Das ist auch bei vielen anderen, vor allem so genannten „funktionellen Beschwerden“, der Fall. Wenn aber die Selbstheilungskräfte des Patienten nicht ausreichend stimuliert werden können, können wir die Homöopathie immerhin begleitend zu anderen sinnvollen oder notwendigen Maßnahmen einsetzen. So hat sich die Kombination aus Homöopathie und Physiotherapie oder auch Psychotherapie in meiner Erfahrung schon oft bewährt. Homöopathie kann aber auch eingesetzt werden, um bei einer Chemotherapie die Nebenwirkungen zu lindern. Überhaupt ist die Homöopathie bestens geeignet, als komplementäre Therapie andere, konventionelle Verfahren zu unterstützen. In meiner Praxis betreue ich viele, vor allem ältere, Patienten, die wegen eines schweren Grundleidens Medikamente einnehmen müssen. Hier kann eine begleitende homöopathische Behandlung extrem hilfreich sein, auch um eine Multimedikation mit daraus resultierenden Wechselwirkungen möglichst zu verhindern.

Wo sehen Sie die Grenzen der Homöopathie?

Allheilmittel gibt es in der Medizin grundsätzlich nicht. Was Homöopathie angeht, ist ihre Grenze da erreicht, wo der Organismus keine Möglichkeit mehr hat, die Krankheit mithilfe des homöopathischen Reizprinzips selbst zu regulieren. Zum Beispiel bei fortgeschrittenen degenerativen oder auch destruktiven Prozessen. Eine weitere Einschränkung gibt es da, wo der Patient entweder keine subjektiven Beschwerden hat oder sie nicht beschreiben kann. Denn Homöopathie basiert wesentlich auf möglichst detailliert beschriebenen Symptomen. Nicht zuletzt gibt es dann noch eine individuelle Grenze, die nicht in der Pathologie zu finden ist. Wenn es dem Homöopathen nicht gelingt, ein hilfreiches Arzneimittel zu finden und sich der Gesundheitszustand des Patienten verschlechtert, muss der Therapeut entsprechend reagieren – auch wenn er womöglich noch Ideen für weitere Verordnungen hat. Immer gilt die Prämisse: „Primum non nocere“ (lat: erstens nicht schaden).

Wie sollte Homöopathie aus Ihrer Therapeutensicht eingesetzt werden?

Homöopathie sollte ein integraler Bestandteil der Gesundheitsversorgung sein. Eine Therapiemethode, die sich seit mehr als 200 Jahren weltweit bewährt hat und die von den Patientinnen und Patienten mehrheitlich als Behandlungsoption gewünscht wird, weil ihre Gesundheit davon profitiert, verdient eine solche Position. Dazu kommt, dass homöopathische Arzneimittel kostengünstig und quasi nebenwirkungsfrei sind.

Wie dogmatisch ist Homöopathie?

Das ist eine interessante Frage! Der Entdecker der Homöopathie, Samuel Hahnemann, hatte seinerzeit ein umfassendes Therapiekonzept entwickelt, in dem die homöopathischen Arzneimittel sicher die Hauptrolle spielten. Aber ihm war auch klar, dass für eine optimale Gesundheitsversorgung der Menschen zum Beispiel Hygiene und Lebensführung wichtige Beiträge leisten können. Ebenso wusste er um die Möglichkeiten der Chirurgie und lebensrettender Sofortmaßnahmen. Begleitend setzte er die Hydrotherapie ein und er wusste auch, wann es – wie wir heute sagen würden – psychotherapeutischer Maßnahmen bedurfte. Überhaupt war Hahnemann Neuerungen in der Medizin gegenüber sehr aufgeschlossen: so lobte er die Einführung der Impfung und war einer der ersten Mediziner, die in der Praxis das Stethoskop verwendeten. Homöopathie ist also ganz undogmatisch ohnehin schon immer mehr, als nur die Gabe von Globuli – sie als alleiniges Allheilmittel zu begreifen, wäre aber sicher falsch.

Wie passt eine 230 Jahre alte Therapierichtung in eine moderne, fortschrittliche Medizin?

Die Homöopathie ist in gewisser Weise sehr traditionalistisch, gelten doch die von Samuel Hahnemann geschaffenen methodischen Grundlagen im Wesentlichen bis heute. Wobei man aber nicht jede theoretische Position Hahnemanns teilen muss. Natürlich gibt es auch Weiterentwicklungen. Allein schon die zahlreichen Arzneimittelprüfungen, die bis heute die Materia medica (also die Sammlung von Symptomen und Indikationen der in der Homöopathie verwendeten Arzneimittel) erweitern, drücken dies aus. Aber auch die Prüfungen an sich, die heute oft placebokontrolliert und verblindet durchgeführt werden. Erkenntnisse und Fortschritte der modernen Medizin finden, sofern dies sinnhaft ist, Eingang in die homöopathische Methodik. Diagnostische Maßnahmen wir Laboruntersuchungen, Röntgen- oder MRT-Aufnahmen etc. helfen natürlich auch homöopathischen Therapeuten bei der korrekten medizinischen Einschätzung eines Krankheitsfalles. Früher musste man sich überwiegend auf subjektive Angaben der Patienten verlassen, wenn es um die Beurteilung eines Behandlungsverlaufs geht. Heute werden diese Informationen im Bedarfsfall flankiert von objektiven diagnostischen Daten. Die Homöopathie hat sich also weiterentwickelt und profitiert von den Fortschritten in der Medizin.

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Samuel Hahnemann (1755 – 1843), Begründer der Homöopathie

Kurzbiografie Stefan Reis

Stefan Reis ist Heilpraktiker mit eigener Praxis seit 1987. Er gründete zudem mit der „Dynamis-Schule“ eine Homöopathieschule und einen kleinen Fachverlag (Kwibus-Verlag). Bei der Stiftung Homöopathie-Zertifikat ist Stefan Reis als Therapeut, Dozent und Supervisor zertifiziert. Zudem ist er Vorstandsmitglied im Verband klassischer Homöopathen Deutschlands e.V., einem Heilpraktiker-Berufsverband.

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