Der gebürtige Stuttgarter studierte Medizin an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, um danach, mit beruflichen Stationen in die USA, in seiner Heimatstadt Karriere zu machen: Am Robert Bosch Krankenhaus (RBK) absolvierte er die Ausbildung zum Internisten und Nephrologen, arbeitete dort als Oberarzt, Chefarzt und wurde 2009 zum Ärztlichen Direktor der Gesamtkliniken des RBK ernannt. Seit 2015 ist Prof. Dominik Alscher Geschäftsführer, seit dessen Gründung auch des Bosch Health Campus. Sein Fokus gilt neuen Ansätzen im Umbruch des Gesundheitssystems, evidenzbasierter Integrativer Medizin und Patientenorientierung, Peritonealdialyse und medizinischen Expertensystemen.
(Foto: ©RBK/M42)
Integrative Medizin hilft, das Gesundheitssystem zu erneuern
Wichtige Lösungsansätze in der Krise
Fachkräftemangel, stetig steigende Kosten und eine immer älter werdende Gesellschaft belasten das Gesundheitssystem. Wieso der Einsatz von Integrativer Medizin für Patienten wertvoll und für Krankenhäuser finanziell attraktiv sein kann, erläutert Prof. Dr. med. Mark Dominik Alscher. Er ist Geschäftsführer der Bosch Health Campus GmbH und Internist mit Lehrauftrag an der Universität Tübingen.
Prof. Alscher, seit 2015 gibt es am Robert Bosch Krankenhaus in Stuttgart auch eine Abteilung für Naturheilverfahren. Wie groß ist das Interesse der Patientinnen und Patienten daran?
Die Nachfrage ist sehr groß. Inzwischen haben wir eine Liste mit Wartezeiten von bis zu drei oder vier Monaten. Viele Patienten wenden sich explizit mit dem Wunsch an uns, integrativmedizinisch behandelt zu werden. Das gilt vor allem für alle chronischen und schweren Erkrankungen.
Wie lässt es sich erklären, dass immer mehr Menschen Integrative Medizin nachfragen?
Die Patienten fühlen sich damit besser und vor allem ganzheitlich versorgt. Ihre Lebensqualität, ihr Wohlbefinden bessert sich dadurch, weil sich zum Beispiel Nebenwirkungen einer Chemotherapie oder Ängste vor der Behandlung lindern lassen. Die Patienten fühlen sich als ganzer Menschen wahrgenommen und begleitet, nicht nur auf der rein körperlichen Ebene.
Wie sind Ihre Mitarbeitenden damit umgegangen, dass Naturheilverfahren auf einmal zur Behandlung gehörten?
Das war für mich sehr spannend: Am Anfang gab es in einzelnen Abteilungen im Haus eine gewisse Skepsis, ob Komplementärmedizin wirklich benötigt wird. Diese Vorbehalte aber sind verschwunden. Inzwischen ergänzt sie unser therapeutisches schulmedizinisches Angebot nicht nur in der Onkologie, sondern etwa auch in der Herzchirurgie sowie in der Behandlung von Erkrankungen des Blutes und des Lymphsystems. Wenn Patienten etwa an Leukämie leiden und sich einer Stammzelltransplantation unterziehen müssen, dann profitieren gerade auch diese Menschen sehr von integrativen Ansätzen. Das zeigt uns: Wir müssen neben dem akuten medizinischen Problem auch die anderen Dimensionen des Menschseins ansprechen.
Was genau meinen Sie damit?
Seelische Aspekte, ganzheitliche Aspekte. Es wird eben nicht nur die ,böse‘ Blutzelle behandelt, sondern der ganze Mensch. Und da ermöglichen integrative Ansätze mehr.
Was gehört am Robert Bosch Krankenhaus beispielsweise dazu?
Wenn Menschen beunruhigt und gestresst sind, kann ihnen Akupunktur helfen, bei Übelkeit Akupressur. Zudem haben wir gestufte Kompaktprogramme entwickelt, in denen wir vermitteln, wie Menschen mit einfachen Methoden und durch Veränderungen in der Lebensführung selbst ein Stück weit dazu beitragen können, dass es ihnen trotz ihrer schwerwiegenden Erkrankung emotional, mental und körperlich besser geht.
Das Robert Bosch Krankenhaus liegt auf dem Gelände des Bosch Health Campus. Wie hängt es mit den anderen Einrichtungen dort zusammen?
Zusätzlich zum Krankenhaus haben wir einen großen Forschungsbereich mit 200 Mitarbeitern, dazu gehört seit 2023 auch das Centrum für Integrative Medizin und Gesundheit. Forschen und Anwenden gehen so Hand in Hand. Im Centrum für Innovationen im Gesundheitswesen und in unserem Bildungsbereich versuchen wir, neue Strukturen und Versorgungsformen zu definieren, damit Gesunderhaltung auch in Zukunft möglich wird.
Wieso sind neue medizinische Versorgungsformen aus Ihrer Sicht notwendig?
Das Gesundheitswesen steht vor einem gewaltigen Umbruch. Hintergrund sind der Fachkräftemangel und die Tatsache, dass wir Menschen immer älter werden, aber auch gesund altern wollen. Der bisherige Betrieb ist sehr an der Akutmedizin orientiert, Stichwort ,Reparaturbetrieb‘. Mittel- und langfristig werden wir uns das als Gesellschaft nicht mehr leisten können, weil Fachkräfte fehlen, aber auch, weil es nicht mehr bezahlbar ist. In Deutschland werden pro Jahr 500 Milliarden Euro für Gesundheit ausgegeben, trotzdem stehen wir im europäischen Vergleich hinten an, was die Lebenserwartung angeht. Deshalb müssen wir uns mehr um Gesundheitskompetenz der Menschen kümmern. Und schauen, wie wir mit sekundär- und tertiärpräventiven Ansätzen1 im Rahmen einer integrativmedizinischen Therapie die Menschen gesünder halten. Damit sie, salopp gesagt, seltener Reparaturen brauchen.
Welche hilfreichen Ansätze zur Erneuerung kann die Integrative Medizin konkret liefern?
Zahlreiche. Nehmen Sie als Beispiel unser Kompaktprogramm bei Chemotherapie. Dem Patienten werden zum Beispiel Ernährungstipps vermittelt und Entspannungsmethoden. Im Rahmen dieser Tertiär-Prävention messen wir in wissenschaftlich fundierten Studien, ob diese Behandlung Einfluss darauf hat, ob und wann ein Patient wieder in eine Klinik muss, weil seine Erkrankung zurückkehrt. Schon jetzt können wir sagen, dass solche Angebote den Patienten erheblich zuträglich sind2. Bei uns gehören unter anderem Achtsamkeitsmethoden wie Meditation oder Yoga3. Bei Brust-, Darm- und Prostatakrebs profitieren Patientinnen und Patienten von Yoga, weil dieser Ansatz etwa auch die starke Erschöpfung (Fatigue) lindern kann. Das hat eine Metaanalyse von 29 Studien gezeigt4. Wärme-Kälte-Anwendungen nach Kneipp zeigen ebenso erste gute Ergebnisse5, hier braucht es aber noch mehr hochwertige Studien.
Welche Rolle spielt dabei das 2023 gegründete Centrum für Integrative Medizin und Gesundheit?
Wir sind offen für andere Methoden der Medizin. Aber diese müssen evidenzbasiert sein. Wo sie dies nicht sind, ist es wichtig, wissenschaftliche Nachweise zu erbringen. Deshalb haben wir uns stark dafür engagiert, dass das Land Baden-Württemberg einen Lehrstuhl einrichtet zur Erforschung der komplementären Medizin. Dieser ist seit 2022 in Tübingen an der Universität angesiedelt, Prof. Holger Cramer hat ihn inne. Er ist zugleich der wissenschaftliche Leiter an unserem Centrum für Integrative Medizin.
Wie sieht es mit der Finanzierung von Methoden der Integrativen Medizin aus, etwa auch von Ihrem Kompaktprogramm?
In der Regel handelt es sich um keine sehr aufwändigen oder kostenintensiven Methoden. Zudem gibt es für Krankenhäuser attraktive Möglichkeiten der Refinanzierung. Wir wollen aber auch viele von diesen Leistungen, die im Regelfall von den Gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen werden, auch für die dort Versicherten anbieten. Der Bosch Health Campus hat deshalb von Beginn an einen Vertrag zur Integrierten Versorgung (IV-Vertrag) mit der AOK und der Bosch BKK in Baden-Württemberg geschlossen. Dadurch tragen sich die Integrativen Maßnahmen, im Idealfall erwirtschaften wir Gewinn.
Quellen:
1Primärprävention: Krankheitsvermeidung / Sekundärprävention: Behandlung einer Erkrankung im Frühstadium / Tertiärprävention: Therapie einer chronischen Erkrankung durch Maßnahmen wie Patientenschulungen
2Temel JS, Greer JA, Muzikansky A et al: Early palliative care for patients with metastatic non–small-cell lung cancer. N Engl J Med. 2010 Aug 19; 363:733–742
3Hardoerfer K, Jentschke E: Effect of yoga therapy on symptoms of anxiety in cancer patients. Oncol Res Treat 2018; 41: DOI:10.1159/000488989
4Armer J, Lutgendorf S: The Impact of Yoga on Fatigue in Cancer Survivorship: A Meta-Analysis. JNCI Cancer Spectrum (2020); 4(2): pkz098
5Ortiz M, Koch A, Cramer H et al: Clinical effects of Kneipp hydrotherapy: a systematic review of randomized controlled studies. BMJ open (2023 July 2023): 10.1136
„In der Regel handelt es sich bei der Integrativen Medizin um keine sehr aufwändigen oder kostenintensiven Methoden. Im Idealfall erwirtschaften wir Gewinn.“
Prof. Dr. Mark Dominik Alscher, Internist und Geschäftsführer der Bosch Health Campus GmbH in Stuttgart
Vita Prof. Dr. med. Mark Dominik Alscher