Kneipp-Medizin: Gesundheitsförderung für Jung und Alt 

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Die Wassertherapie nach Pfarrer Sebastian Kneipp (1821-1897) ist weit mehr als bloßes Wassertreten und umfasst noch vier weitere gesundheitsfördernde Elemente. Eine Übersicht der Ludwig-Maximilians-Universität München für 2000 bis 2019 zeigt, dass in neun von 14 kontrollierten (darunter 13 randomisierte) Studien signifikante Verbesserungen u.a. bei menopausalen Beschwerden und Schlafstörungen sowie verbesserte Immunparameter bei gesunden Probanden auftraten. Elf weitere Studien bestätigen, dass sich u.a. allergische Symptome, Infekte, Schmerzen und polyneuropathische Beschwerden bessern. Aktuelle Forschungsergebnisse dokumentieren nun, wie die Kneipp-Therapie sowohl in Kitas als auch in Seniorenheimen die Gesundheit stärken, Fehltage einsparen und sogar bei Demenzerkrankungen Vorteile bringen kann.

Mit fünf Elementen die Widerstandskraft stärken

Seit mehr als 150 Jahren schwören Anhänger der Verfahren nach Kneipp auf das gesundheitsfördernde Storchentreten durchs kalte Nass. Mit Hilfe neuester Forschungsergebnisse wurde das Gesundheitskonzept des „Wasserdoktors“ fortlaufend weiterentwickelt. Es umfasst heute die fünf Elemente:

• Wasser (z.B. Wassertreten, Arm- und Gesichtsgüsse)
• Bewegung (z.B. Barfuß laufen, maßvolle Bewegung an frischer Luft wie Wandern, Fahrradfahren sowie Gymnastik)
• Ernährung (z.B. vollwertige Mischkost, viel Gemüse, etwas Obst, wenig Fleisch)
• Heilpflanzen (z.B. Salbei und Hagebutte)
• Lebensordnung (z.B. ausreichend schlafen, regelmäßig essen, soziale Kontakte pflegen, Stress vermeiden)

Dieser ganzheitliche Ansatz basiert auf der Erkenntnis, dass ein hoch wirksames Immunsystem, körperliche Fitness sowie eine überdurchschnittliche Stressresistenz die Selbstheilungskräfte anregen und die Widerstandsfähigkeit stärken – wichtigste Voraussetzungen für die Lebens- und Arbeitsanforderungen unserer Zeit.

Integrierte Kneipp-Therapie in Seniorenheimen erfolgreich

Von der Ärzteschaft wird die Kneipp-Medizin vielfach positiv aufgenommen, vor allem die Bewegungs- und Ernährungstherapie lässt sich gut mit der konventionellen Medizin kombinieren. So auch im Pflegealltag, wo sie sich nicht nur positiv auf die Gesundheit von Pflegebedürftigen, sondern auch der Pflegenden auswirkt. Dies zeigt eine Studie aus dem Jahr 2015, die das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) in Kooperation mit der Charité und dem Kneipp-Bund e.V. durchführte. Diese Pilotstudie belegt, dass regelmäßige Maßnahmen nach Kneipp in Seniorenheimen zu einem überdurchschnittlich guten Gesundheitszustand der Bewohner führen. Dabei wurden die Hydrotherapie nach Kneipp, Kräuter- und Mind-Body-Therapie, körperliche Aktivitäten sowie gesunde Ernährung in der Pflege eingebunden und untersucht. Entsprechend schulten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Institutionen in den fünf Kneippschen Elementen. Neben den vielfältigen Wasseranwendungen servierte das Personal zum Beispiel Kräutertees nicht mehr in Thermoskannen auf den Zimmern. Stattdessen bauten Bewohner und Pflegende die Pflanzen zusammen an, ernteten sie und tranken den Tee in gemeinschaftlicher Runde. Naturbelassene und vollwertige Speisen sowie spezielle Bewegungsangebote mit begleitendem Gedächtnistraining rundeten den Alltag der Bewohner und Bewohnerinnen ab.

Empowerment für Bewohner und Pflegende

Die Pilotstudie untersuchte gesundheits- und arbeitsbezogene Merkmale und beobachtete, wie die Kneipp-Therapie von Bewohnern und Pflegekräften aufgenommen wurde. Im Rahmen einer Studie mit qualitativen sowie quantitativen Forschungsaspekten (Mixed-Methods-Querschnittsstudie) in den Pflegeheimen mit integrierter Kneipp-Therapie wurde die Arbeitsfähigkeit, die psychosoziale Belastung am Arbeitsplatz und die gesundheitsbezogene Lebensqualität der pflegenden Angehörigen sowie eine breite Auswahl an gesundheitsbezogenen Daten der Bewohner mithilfe von Fragebögen und Bewertungen erhoben.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Kneipp-Gruppe gegenüber der Kontroll-Gruppe in den drei Bereichen „Feedback“, „Burnout“ und „Arbeitszufriedenheit“ bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie bei den Bewohnerinnen und Bewohnern im Bewertungsverfahren zur Erfassung der alltäglichen Fähigkeiten für Patienten mit Behinderung, dem sogenannten „Barthel-Index“ überlegen war.

Kneipp-Konzept harmonisiert Beziehung zwischen Pflegekräften und Bewohnern

Analysiert wurden insgesamt Daten von 29 Pflegerinnen (42,0 ± 11,7 Jahre) und 64 Bewohnerinnen (83,2 ± 8,1 Jahre). Das Ergebnis ist eindeutig: Sowohl 96 Prozent der Pflegekräfte als auch 89 Prozent der Bewohner und Bewohnerinnen beurteilten die Kneipp-Therapie als positiv für Gesundheit und Wohlbefinden. 90 Prozent der Betreuer gaben an, dass sie seit der Einführung der Kneipp-Maßnahmen besser mit den Bewohnern zurechtkämen: Demenzkranke Bewohner und Bewohnerinnen verhielten sich weniger herausfordernd, waren ruhiger und zufriedener. Auch konnte der Verbrauch an Bedarfsmedikamenten reduziert werden. Das Pflegepersonal wurde dadurch entlastet, konnte effizienter arbeiten und die Arbeitsqualität verbesserte sich.

Insgesamt weisen die Ergebnisse dieser Querschnittsstudie darauf hin, dass sich durch die Integration der Lebensalltag von Bewohnern und Pflegenden verbessert hat. „Einrichtungen, die komplementäre, naturheilkundliche Verfahren erfolgreich in der Pflege einsetzen, können einen Beitrag zu einer bedarfsgerechten Gesundheitsförderung leisten“, kommentiert Prof. Dr. Benno Brinkhaus, Studienleiter, Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité – Universitätsmedizin Berlin die Studie.

Kneippen reduziert Infektanfälligkeit bei den Kleinsten

Auch die Jüngsten unserer Gesellschaft können durch Kneipp profitieren. Seit Jahrzehnten setzen einige Kindertagesstätten auf das Konzept der Hydrotherapie nach Kneipp als gesundheitsfördernde Maßnahme. Bundesweit wurden bisher mehr als 450 Kitas vom Kneipp Bund e.V. zertifiziert. Das Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité beschäftigt sich seit längerem mit der Frage, ob Anwendungen nach Kneipp die Infektanfälligkeit bei Kindern reduzieren könnte. Im Zuge der Vorbereitungen auf ein umfassenderes Forschungsvorhaben wurden Leitungskräfte in Kneipp-Kitas anonym zu möglichen gesundheitsfördernden Effekten des Kneipp-Konzeptes bei Kita-Kindern befragt. 30 Einrichtungsleiter und -leiterinnen antworteten. Die Ergebnisse zeigen, dass die Kita-Kinder hinsichtlich der Salutogenese, also ihrer Widerstandsressourcen, der Gesundheitsedukation und der Infektanfälligkeit Vorteile hatten: Atemwegsinfektionen fielen schwächer aus und traten seltener auf.

„Das Beste, was man gegen eine Krankheit tun kann, ist etwas für die Gesundheit zu tun.“ (Sebastian Kneipp (1821-1897)

Eine Pilotstudie der Charité – Berlin, an der auch „Gesunde-Vielfalt“- Beirat und renommierter Badearzt Prof. Dr. Peter W. Gündling beteiligt war, untersuchte 2021 die Wirkung von hydrotherapeutischen Kneipp-Armgüssen auf sekretorisches Immunglobulin – die Abwehr der Schleimhautoberfläche gegen Erreger –, klassische Erkältungssymptome und die Durchführbarkeit bei Kindern von drei bis sechs Jahren.
Es handelte sich dabei um eine nicht randomisierte, kontrollierte, explorative klinische Studie mit gemischten Methoden. Die hydrotherapeutische Intervention behandelte 15 Kinder mit Kneipp-Armgüssen über einen Zeitraum von vier Wochen. Die Kontrollgruppe mit ebenfalls 15 Kindern erhielt hingegen keine Anwendungen. Die Ergebnisse zeigten bei den Kindern der Interventionsgruppe eine geringere Anfälligkeit für Infektionen der Atemwege durch Kneippsche Hydrotherapie. Die Kneipp-Armgüsse wurden zu Hause gemacht und von den Kindern gut angenommen. In der qualitativen Analyse beschrieben neun von 13 Eltern, dass ihre Kinder weniger anfällig für Infektionen der Atemwege waren.

Weniger Fehltage durchs Kneippen – was ist wirklich dran?

Eine weitere nichtrandomisierte, kontrollierte, explorative klinische Mixed-Methods-Studie über sechs Wochen mit 20 Kindern in der Interventionsgruppe und 18 in der Kontrollgruppe im Alter von drei bis sechs Jahren zeigte ebenfalls positive Ergebnisse: Die regelmäßig angewandten Armgüsse nach Kneipp reduzierten bei Kindern der Interventionsgruppe die Fehltage im Kindergarten. Auch traten bei diesen Kindern seltener Infektionen der unteren Atemwege auf.

Kann die Wassertherapie Stressempfinden reduzieren und die Lebensqualität steigern?

Die evidenzbasierte Forschung geht weiter: Ende 2022 startete das Forschungsteam „Integrative Medizin in der Kinderheilkunde“ der Charité – Universitätsmedizin Berlin unter der Leitung von Prof. Dr. med. Georg Seifert gemeinsam mit der Krankenkasse BKK VBU und dem Kneipp-Bund e.V. das gemeinsame Modellprojekt: „Integration eines Kneippschen Gesundheitskonzeptes in Kindertagesstätten“. In der wissenschaftlichen Beobachtungsstudie mit 240 Kindern im Alter von zwei bis sechs Jahren wird in Berlin und Umland das Kneipp-Konzept in den Kita-Alltag integriert. Dabei sollen die Effekte insbesondere der Wasseranwendungen auf Infektanfälligkeit, Stressempfinden, Lebensqualität und Stimmung bei den Klein- und Vorschulkindern wissenschaftlich untersucht werden. Die ersten Ergebnisse sind gegen Ende 2024 zu erwarten.

Kneipp-Konzept: positiver Einfluss für unser Gesundheitsbewusstsein?

Auch in Bayern werden evidenzbasierte Studien für dieses Verfahren der Integrativen Medizin vorangetrieben: Seit Ende 2022 findet unter der Leitung von Prof. Anne Herrmann-Johns (Universität Regensburg) und Prof. Benno Brinkhaus (Charité – Universitätsmedizin Berlin) eine bayerische Studie statt – gefördert durch das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Das Ziel dieser Studie ist es, kurz- und mittelfristige Effekte (nach sechs und 12 Monaten) von gesundheitsfördernden Maßnahmen eines Kneipp-Gesundheitskonzepts in Kindertagesstätten zu erheben. Kitas, die nach Kneipp arbeiten, werden mit Einrichtungen ohne das Kneippsche-Gesundheitskonzept verglichen. Mittels des Mixed-Methods-Designs soll der Einfluss der Kneipp-Medizin auf den Gesundheitsstatus der teilnehmenden Kinder und Erzieher, auf das Gesundheitsbewusstsein und -verhalten von Kindern, Eltern und Erzieher sowie auf die Familiengesundheit (Eltern und Kinder) quantitativ und qualitativ evaluiert werden.

Fazit: Die Kneipp-Therapie weist laut Studien positive Effekte für Gesundheit und Wohlbefinden unterschiedlicher Zielgruppen und Altersklassen auf. Die Studienlage und -qualität ist bisher heterogen. Dennoch ermutigen aktuelle Studien, weiter zu forschen. Einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur wissenschaftlichen Anerkennung des Gesundheitskonzeptes nach Kneipp bildet zudem die im Januar 2010 eingeführte Stiftungsprofessur an der Berliner Charité. Nach jeweils zwei geförderten Perioden wurden, die seit 2010 bestehenden Stiftungsprofessuren von Prof. Dr. med. Benno Brinkhaus und Prof. Dr. med. Andreas Michalsen in reguläre Haushaltsprofessuren überführt. Mit dieser Entscheidung hat die Charité-Leitung die national und international erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der Integrativen Medizin im Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité-Universitätsmedizin Berlin und im kooperierenden Immanuel Krankenhaus Berlin entsprechend gewürdigt. Auch der Kneipp-Bund fördert die wissenschaftliche Evaluierung der Naturheilkunde, um diese in der Hochschulmedizin stärker zu implementieren.

Das Kneipp-Konzept als Bestandteil einer Integrativen Medizin ist aktueller denn je und leistet einen wichtigen Beitrag zu Prävention und Gesunderhaltung der Patienten.

Der Kneipp-Bund e.V. mit über 160.000 Mitgliedern und etwa 500 Kneipp-Vereinen bildet deutschlandweit die größte private, gemeinnützige Gesundheitsorganisation. Er orientiert sich an den Grundsätzen der WHO in der Gesundheitsförderung und Prävention. Der Kneipp-Bund fordert seit Jahren einen Paradigmenwechsel in der Gesundheitsversorgung, die Verabschiedung eines entsprechenden Präventionsgesetzes betrachtet er als längst überfällig.

Quellen:

https://natuerlich.haug-verlag.de

Stier-Jarmer, M., Throner, V., Kirschneck, M., Frisch, D., & Schuh, A. (2021). Effekte der Kneipp-Therapie: Ein systematischer Review der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse (2000–2019). Complementary Medicine Research, 28(2), 146-159.

Schulte, K., Blakeslee, S. B., Stritter, W., Eidenschink, C., Gündling, P. W., Baumann, A., & Seifert, G. (2021). The effect of Kneipp treatment hydrotherapy on secretory IgA in young children: a controlled, non-randomized clinical pilot study. Complementary Therapies in Medicine, 57, 102637.


Schulte, K., Blakeslee, S. B., Kandil, F. I., Stock-Schröer, B., & Seifert, G. (2022). The effect of cold-water hydrotherapy according to Sebastian Kneipp for immune stimulation: a nonrandomized, controlled, explorative, mixed-methods clinical study. Journal of Integrative and Complementary Medicine, 28(9), 749-756.)

Ortiz, M., Schnabel, K., Binting, S., Fischer, H. F., Teut, M., Suhr, R., & Brinkhaus, B. (2019). Complementary and integrative medicine in nursing homes: Results of a cross-sectional study in residents and caregivers. Complementary Medicine Research, 26(5), 310-321.

Weniger Fehltage durchs Kneippen? Krankenkasse BKK VBU, Charité – Universitätsmedizin Berlin und Kneipp-Bund starten wissenschaftliche Forschungsstudie mit Berliner Kitas, in: www.kneippbund.de.

Pflegebedürftige profitieren von Naturheilverfahren, in: https://www.zqp.de
Studie Effekte von Naturheilkunde in Pflegeeinrichtungen, in: https://www.zqp.de
KNEIPP-KITA Studie Bayern, in: https://www.uni-regensburg.de/
Gesundheitsförderung durch vom Kneipp-Bund e.V. anerkannte Kindertageseinrichtungen, in: Kneipp-Journal, März/April 2023
Lutz Ehnert, Caroline Geiser: Was ist gesichert in der Kneipp-Therapie? Die internistische Sicht, in: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9645348/
Kneipp: Mit kalten Güssen fit gegen Infekte, in: https://www.ndr.de
Pfleger reichen kaltes Wasser statt Schlaftabletten, in: www.welt.de

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