Prof. Dr. med. Jost Langhorst ist seit 2019 Chefarzt der Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde am Klinikum am Bruderwald, Sozialstiftung Bamberg, mit 25 stationären Betten, einer Tagesklinik mit 20 Plätzen und einer Praxis für Integrative Medizin und Naturheilkunde. Er studierte Humanmedizin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (1987-1994) und promovierte 1995. 2008 habilitierte er sich im Fach Naturheilkunde. Er hat einen Stiftungslehrstuhl für Integrative Medizin inne mit Schwerpunkt Translationale Gastroenterologie der Universität-Duisburg-Essen am Klinikum am Bruderwald in Bamberg.
„Ich habe von diesem ganzheitlichen Prinzip ausdrücklich profitiert!“

Vorteile für Patienten, evidenzbasierte Vorgehensweisen in der Praxis
Expertengespräch zur Integrativen Medizin mit Universitäts-Professor Dr. med. Jost Langhorst, Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde am Klinikum Bamberg
Herr Prof. Langhorst, was hat Sie bewogen, sich der Integrativen Medizin zuzuwenden?
Als ich Medizin studierte, habe ich erfahren, dass der ganzheitliche Aspekt an vielen Stellen keine ausreichende Berücksichtigung findet. In meiner Familie gab es prägende Personen wie meinen Vater und meine Großmütter, die sich mit Heilpflanzen und einfachen Selbsthilfestrategien bei Erkrankungen auskannten. Entsprechend habe ich mich bemüht, einen eigenen Weg zu gehen. Ich bin Internist und Gastroenterologe, bin naturheilkundlich, psychotherapeutisch und in Balneo- sowie Physikalischer Therapie weitergebildet und habe mich im Fach habilitiert. Seit 2019 bin ich am Klinikum am Bruderwald in Bamberg als Chefarzt mit eigenem Stiftungslehrstuhl für Integrative Medizin der Universität Duisburg-Essen tätig. Dabei ist es mir sehr wichtig, das Feld der Integrativen Medizin seriös weiterzuentwickeln.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Wir haben einen Forschungsschwerpunkt für Post-COVID-Fatigue. Der erste Forschungszyklus ist abgeschlossen, mit sehr erfolgreichen Ergebnissen.
Warum therapieren Sie die Patienten nicht „nur“ mit konventioneller Medizin?
Das Kerngeschäft der Integrativen Medizin ist die komplementäre Unterstützung der konventionellen Medizin. Es gibt beispielsweise zahlreiche nicht-pharmakologische Therapieverfahren, die in vielen konventionellen Ansätzen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Diese werden den Patienten oft, hingeworfen‘, man sagt ihnen, dass sie sich selbst um deren Anwendung kümmern müssten. Es macht genau deswegen absolut Sinn, komplementäre Verfahren in einem ganzheitlichen Konzept abzubilden. Denn gerade in der Akut-Medizin sind beispielsweise internistisch zahlreiche Interventionen möglich, die aber für eine große Anzahl an Erkrankungen zu kurz greifen. Es gibt hier den „Drehtüreffekt“: Patienten werden aus konventionell tätigen Praxen oder Kliniken entlassen und kommen gleich wieder, quasi durch die Hintertür. Und zwar deshalb, weil allein durch die konventionell erfolgte Versorgung keine adäquate Stabilität entstanden ist. Dieser Situation begegnen wir hochprofessionell mit einem multimodalen integrativ-naturheilkundlichen Therapiekonzept. Und das zeitigt sinnhafte Erfolge.
Wie kann man sich das konkret bei Ihnen in der Klinik vorstellen?
Ziel und Voraussetzung ist, dass wir auf Facharzt- und Leitlinienniveau die konventionelle Medizin vorhalten. Unter dieser Voraussetzung schauen wir, was Naturheilkunde und Komplementärmedizin als Ergänzung zu bieten haben. Darin ist das Team aus Ärztinnen und Ärzten entsprechend qualifiziert, z.B. im Hinblick auf traditionelle chinesische Medizin und Akupunktur, Neuraltherapie oder auch Blutegeltherapie, etc. Es geht uns dabei darum, den häufig rein pathogenetischen Zugang in der konventionellen Medizin, „die Krankheit zu bekämpfen“, um einen salutogenetischen Zugang zu ergänzen, also „die Gesundheit zu erhalten“.
Was trägt dazu bei?
Kennzeichnend hierfür ist eine ressourcenorientierte Arbeit mit den Patienten. In diesem Zusammenhang sind Selbstwirksamkeit und Selbstfürsorge wichtige Ziele der Therapie. Niedrigschwellige Therapieangebote wie Bewegung, Ernährung und Stressmanagement gehören dazu. Das wird vervollständigt und umgesetzt durch exzellente Physiotherapeuten und ein ausgezeichnetes Pflegeteam, das naturheilkundlich zusatzqualifiziert ist und beispielsweise mit Wickeln, Auflagen und ätherischen Ölen arbeitet. Wir haben eine exzellente physikalische Abteilung mit Bewegungsbad, verschiedene Intensitäten der Wärmetherapien bis hin zur wassergefilterten Infrarot-A-Hyperthermie. Unser „Operationssaal“ ist die Ordnungstherapie, bei der Psychologen, Gesundheitspädagogen, Ökotrophologen und Diplomsportler in einem Team auf der Basis von Achtsamkeitsbasierten Verfahren zu Generalisten ausgebildet werden und ihre spezielle Expertise in einem strukturierten Gesamtkonzept einbringen. All die genannten Therapien werden aufeinander abgestimmt und greifen ineinander.
Das erfordert die aktive Mitarbeit der Patienten. Wie reagieren diese darauf?
Es geht in jedem Fall auch um Selbstermächtigung und darum, den Inneren Heiler zu aktivieren. Und eben nicht nur zu hoffen, dass man durch Maßnahmen von außen alles abfängt. Viele kommen ja genau deshalb zu uns, aber für andere ist es auch eine ganz neue Tür, durch die sie hindurch gehen. Wir machen dazu qualitative Forschung in Form von Interviews mit den Patienten und bilden so im Prinzip die dritte Säule der Evidenz ab – die der Erfahrung der Patienten. Diese Ergänzung ist sehr wertvoll. ,Genau das hat mir gefehlt, genau das habe ich für meine chronische Erkrankung gebraucht‘, hören wir da. Viele sagen auch: ,Ich habe von diesem ganzheitlichen Konzept ausdrücklich profitiert!‘ Und genau das können wir jetzt auch wissenschaftlich zeigen.
Wie gehen Sie konkret vor?
Wir arbeiten multizentrisch, zusammen mit dem Immanuel-Krankenhaus in Berlin und dem Zentrum für Naturheilkunde und Planetare Gesundheit am Universitätsklinikum Essen sowie der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin in Essen, die ja ähnliche Konzepte haben. Dafür nutzen wir Versorgungsforschung, das ist einer der Forschungsschwerpunkte an unserem Lehrstuhl. Gemeinsam können wir zeigen, dass wir einen Mehrwert generieren und nachweislich den Unterschied machen, den uns die Patienten auch immer im Einzelgespräch bestätigen. Unsere Daten werden wir Schritt für Schritt publizieren. Gerade haben wir dazu den Krankenkassen einen ausführlichen Bericht gesandt.
Welchen Standard verfolgen Sie dabei?
Voraussetzung für eine seriöse Patientenversorgung ist immer, dass man sich dem aktuellen Wissenschaftsparadigma stellt. Beispielhaft sind hierfür randomisiert kontrollierte Studien. Diese sind aus der Pharmakologie entstanden, für einzelne Therapiesäulen kann man diese nutzen – beispielsweise in der Phytotherapie wird so geforscht. Für unsere kürzliche Hyperthermie-Studie bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom haben wir auch ein randomisiert kontrolliertes Setting gewählt. Hier konnten wir zeigen, dass die Patienten relevant weniger Schmerzen haben. Schon deshalb lohnt es sich, diesen komplementärmedizinischen Ansatz weiter zu verfolgen. Wichtige Voraussetzung für die Forschung im Bereich der Integrativen Medizin sind stabile Strukturen. Unsere stationären Betten sind fester Bestandteil im Akutbettenplan des Landes Bayern. Wir evaluieren systematisch bei Aufnahme und Entlassung sowie nach sechs Monaten, wie sich die Therapie auf den Krankheitsverlauf, die Lebensqualität und weitere psychosoziale Faktoren ausgewirkt hat. Es geht auch darum zu erforschen, wie die Therapieerfolge stetig verbessert und nachhaltig gemacht werden können. Zudem arbeiten wir mit in verschiedenen nationalen und internationalen Forschungs-Netzwerken.
Zeigen Ihre Auswertungen, dass Sie mit Ihrem ganzheitlichen Ansatz auch Kosten einsparen?
Wir wissen beispielsweise, dass wir durch unsere Behandlung bei Post-COVID wieder mehr Menschen in die Arbeitsfähigkeit bringen. Dies bestätigen die entsprechend behandelten Patienten. Die Ergebnisse bestätigen zudem den wirkungsvollen Einsatz integrativer Therapiemethoden, da diese einen signifikanten Effekt haben. Das gilt im Übrigen auch nach längeren Auszeiten, wenn jemand etwa eineinhalb Jahre lang krankgeschrieben war. Auch für andere Erkrankungen haben wir Daten erhoben, die in eine ähnliche Richtung weisen, die Veröffentlichung braucht aber Zeit.
Wie offen sind denn die Kostenträger dafür?
Der Integrative Ansatz ist im Grunde perfekt, denn er spart perspektivisch immense Kosten, wenn Menschen mit chronischen Erkrankungen geholfen werden kann und sie weniger oder nicht länger das Kassensystem belasten. Es ist sehr komplex, einen Benchmark abzubilden, wie damit Geld gespart wird. Deshalb betreiben wir an unserem Stiftungslehrstuhl viel Forschung, um genau die wissenschaftlichen Argumente zu sammeln, die die Kostenträger und Entscheider überzeugen.
Übernimmt die GKV die Behandlungskosten oder Teile davon?
Die Kosten für unsere multimodalen integrativ-naturheilkundlichen Therapiekonzepte werden von allen Krankenkassen getragen. Dieser Fakt ist nicht jedem Patienten oder nicht jedem Arzt bekannt. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang auch, dass wir allen Bürgern in Deutschland dieses Therapieangebot machen können. Deshalb plädiere ich dafür, dass es in jedem Bundesland mindestens eine Klinik für Integrative Medizin und Naturheilverfahren gibt wie die unsere. Derzeit ist das nur in vier Bundesländern der Fall.
Zu Ihrer Erfolgsbilanz in der Praxis: Welche Kombinationen von konventioneller und komplementärer Medizin funktionieren aus Ihrer Erfahrung am besten?
Das kann ich nicht in zwei Sätzen beantworten. Wir setzen sowohl auf konventionelle als auch auf komplementäre Diagnostik, setzen konventionelle Therapien ein, die wir mit den Säulen der Naturheilkunde verbinden. Es hängt sehr individuell davon ab, wo die Defizite und Bedürfnisse des einzelnen Patienten liegen. Integrativ und ganzheitlich bedeutet, die individuelle Konstitution des Patienten und seine bio-psycho-soziale und spirituelle Situation mit zu berücksichtigen. Auch die Krankheitsverarbeitung kann einen hohen Stellenwert haben.
Was ließe sich hier durch die Ergänzung von Integrativer Medizin verbessern?
Im konventionellen Setting hat der oben beschriebene Ansatz oft nicht genug Platz. Das liegt nicht zuletzt auch daran, wie die finanziellen Anreize im aktuell gültigen System gegeben werden. Das System unterstützt möglichst schnelle Entlassungen aus der stationären Therapie, um Geld zu sparen. Dabei ist das – siehe Drehtüreffekt – häufig zu kurz gesprungen.
Was bedarf es aus Ihrer Sicht, damit sich die Integrative Medizin in Deutschland weiter durchsetzen kann?
Von entscheidender Bedeutung ist ein akademisches Netzwerk von universitären Lehrstühlen für Integrative Medizin und Naturheilkunde, die idealerweise auch mit stationären Betten ausgestattet sind. Um Patienten vor Sackgassen und falschen Versprechungen zu schützen, ist die weitere Akademisierung der Naturheilkunde notwendig. Wir brauchen deshalb mehr reguläre Lehrstühle für Naturheilkunde: Damit die Inhalte von Integrativer Medizin und Naturheilkunde im Lehrplan mehr Platz bekommen, damit wir unseren akademischen Nachwuchs gewinnen können, der dann sagt: ,Ich finde das spannend, ich möchte hier meine berufliche Heimat finden und Professorin oder Professor für Naturheilkunde werden.‘ Hier sehe ich meine Aufgabe, das Feld weiterzuentwickeln. Denn eins steht fest: Das Potential von Integrativer Medizin und Naturheilkunde ist noch lange nicht ausgeschöpft.
Ich habe gesehen, dass in der Akut-Medizin internistisch viele Dinge möglich sind, die aber für eine große Anzahl an Erkrankungen zu kurz greifen. Es gibt hier den sog. Drehtüreffekt: Er beschreibt, dass die Patienten entlassen werden und gleich, quasi durch die Hintertür, wiederkommen, weil durch die Versorgung keine adäquate Stabilität entstanden ist. Dieser Situation begegnen wir mit einem multimodalen integrativ-naturheilkundlichen Therapiekonzept.
Jost Langhorst
Chefarzt
Vita Prof. Dr. med. Jost Langhorst, Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie
