Integrative Medizin – einfach erklärt

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Mehr als 25 Kliniken und Zentren in Deutschland verbinden erfolgreich konventionelle und komplementäre Therapie

Eine alternde Gesellschaft mit zunehmenden chronischen Erkrankungen, Fachkräftemangel und unaufhörlich steigende Kosten: Die Krise im deutschen Gesundheitssystem hat viele Facetten und kennt in der Regel nur eine Lösung: Sparmaßnahmen. Dabei gibt es längst eine andere Herangehensweise, die sich auch in Studien als wirksam, nebenwirkungsarm und kosteneffizient erweist: die Integrative Medizin. Sie verbindet die moderne konventionelle Medizin mit evidenzbasierten, komplementären Verfahren, setzt auf multimodale therapeutische Ansätze und interdisziplinäre Behandlerteams. Sie fördert die Gesundheitskompetenz der Menschen, so dass sie mehr Lebensqualität erfahren und selbst mehr Verantwortung für sich übernehmen. Und sie ist gelebter Alltag in schon mehr als 25 deutschen Kliniken und Zentren, wo sie seit Jahren ambulant und stationär praktiziert wird. Das zeigt eine Übersicht der Initiative GESUNDE VIELFALT1, die sich für die Idee der Integrativen Medizin einsetzt. Mehr als zwei Drittel der Menschen in Deutschland wünschen sich eine solche medizinische Versorgung2.

Dass der gemeinsame therapeutische Weg vielen Menschen nicht auf Anhieb geläufig ist, hat auch mit der Bezeichnung „Integrative Medizin“ zu tun. „In Deutschland sind die Begriffe ,Komplementärmedizin’ und ,Integrative Medizin’ eher im medizinisch-akademischen Kontext etabliert”, sagt Professor Dr. Christian Keßler3, der Anfang November 2025 an der Universität Augsburg die Professur für Integrative Gesundheitsversorgung und Prävention angetreten hat. „Umfragedaten legen aber nahe, dass in der deutschen Bevölkerung eher Begriffe wie Naturheilkunde und Alternativmedizin bekannt sind und verwendet werden”, so der Facharzt für Innere Medizin, der zudem die Zusatzbezeichnungen Naturheilverfahren und Psychotherapie erworben hat und vor seinem Wechsel nach Augsburg die Charité Hochschulambulanz für Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin-Wannsee mit geleitet hat. Vertreter der Integrativen Medizin betonen immer wieder ausdrücklich, dass es dabei gerade nicht um eine „Alternative” gehe, ein Entweder-Oder, sondern um sinnvolle Ergänzungen – da, wo die konventionelle Medizin an Grenzen stößt. „Befragte wünschen sich oftmals weniger Schulmedizin oder Naturheilkunde, sondern eine Kombination (Integrative Medizin) oder eine Ergänzung (Komplementärmedizin) mit unkonventionellen Verfahren“, fügt Prof. Kessler mit Blick auf die aktuelle Studie4 hinzu. Das gilt etwa bei chronischen Erkrankungen5 oder den Nebenwirkungen einer Krebstherapie6. Mehrere medizinische Leitlinien in Deutschland berücksichtigen schon ergänzende komplementärmedizinische Ansätze, darunter für die Behandlung onkologischer Patienten7, beim Reizdarmsyndrom8 sowie bei chronischem unspezifischem Kreuzschmerz9.

Evidenzbasiert: die häufigsten komplementärmedizinischen Verfahren

„Integrative Medizin” ist somit der Überbegriff für das Miteinander aus konventioneller oder „Schul”-Medizin und komplementären, traditionellen Verfahren, auch „Naturheilkunde“ genannt. Dazu gehört eine Vielzahl an therapeutischen Ansätzen, von denen hier nur die wesentlichen genannt sind. Sie werden in den Kliniken und Zentren, die auf der Website der GESUNDEN VIELFALT gelistet sind, erfolgreich im Verbund mit moderner, konventioneller Medizin eingesetzt:
Klassische Naturheilverfahren, wie sie auch die Kneipp-Medizin nutzt:
– Hydro-/Thermotherapie mit Wasseranwendungen inkl. Wickeln
– Ernährungstherapie
– Bewegungstherapie
– Phytotherapie (Pflanzenheilkunde inkl. Aromatherapie)
– Ordnungstherapie, modern auch Mind-Body-Medizin genannt (inkl. Entspannungsverfahren wie Autogenem Training, Progressiver Muskelrelaxation, Yoga, Meditation und Achtsamkeitstraining)
Traditionelle Chinesische Medizin (TCM, inkl. Akupunktur)
Therapie mit Blutegeln
Homöopathie
Osteopathie
Anthroposophische Medizin
Ayurveda

Integrative Medizin erweist sich als kosteneffizient

Das Besondere an der Integrativen Medizin beruht aber nicht nur auf der Integration von komplementären Verfahren an sich, die insbesondere bei chronischen Erkrankungen Symptome lindern und die Lebensqualität von Patienten verbessern können. Sie sind dazu auch dauerhaft in der Lage, also über einen Klinikaufenthalt hinaus. Denn ein zentraler Aspekt der Integrativen Medizin liegt in der Vermittlung von Gesundheitskompetenz: Patienten bekommen Methoden an die Hand, die sie selbst anwenden können, um sich nachhaltig selbst zu unterstützen: Sie ändern ihren Lebensstil, ernähren sich gesünder, bewegen sich mehr, lernen Entspannungsverfahren, eignen sich einfache Methoden an, um sich etwa mit Ingwer bei Übelkeit durch eine Chemotherapie zu helfen. Sie werden zu aktiven Gestaltern ihrer Gesundheit, übernehmen Eigenverantwortung und empfinden sich (wieder) als selbstwirksam. Das kann in doppelter Hinsicht zu Kosteneffizienz führen: Diese Menschen gehen in der Folge weniger oft erneut zum Arzt10 und die Therapie mit komplementären Verfahren an sich ist nicht teurer und kann sogar günstiger sein als herkömmliche Ansätze11. „In der Regel handelt es sich bei der Integrativen Medizin um keine sehr aufwändigen oder kostenintensiven Methoden. Im Idealfall erwirtschaften wir Gewinn“, sagt Prof. Dr. Mark Dominik Alscher, Internist und Geschäftsführer der Bosch Health Campus GmbH in Stuttgart. Das dortige Robert Bosch Krankenhaus verfügt über eine eigene Abteilung für Naturheilkunde und Integrative Medizin.

„Eine Klinik für Integrative Medizin in jedem Bundesland“

Nicht zu unterschätzen dabei ist die wertschätzendere Interaktion zwischen Patienten und Behandlern. Diese begegnen den Hilfesuchenden auf Augenhöhe, berücksichtigen neben der Studienlage eigene Erfahrungen und vor allem auch die Erwartungen und Wünsche der Patienten. Kurz gesagt: Sie haben die Zeit, auf Patienten individuell einzugehen. Bei dieser ganzheitlichen Herangehensweise steht der Patient im Mittelpunkt, um dessen individuelle Ressourcen und Selbstheilungskräfte zu stärken. „Selbstwirksamkeit und Selbstfürsorge sind wichtige Ziele in der Therapie12“, erläutert Prof. Dr. Jost Langhorst, Chefarzt der Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde am Klinikum am Bruderwald der Sozialstiftung Bamberg. Er wünscht sich „zumindest eine Klinik für Integrative Medizin in jedem Bundesland.“

MINERVA-Studie will „Integrative Medizin in die Regelversorgung bringen“

Noch ist es nicht so weit. Damit noch mehr Menschen von Integrativer Medizin profitieren können, ist an drei großen deutschen Kliniken für Naturheilkunde und Integrative Medizin im Sommer 2025 die MINERVA-Studie13 gestartet: In Bamberg, Berlin und Essen soll in einem bisher nicht dagewesen Umfang nachgewiesen werden, dass Integrative Medizin wirkt, sicher und kosteneffizient ist. Die Daten werden an der Universität Tübingen ausgewertet – mit dem Ziel, die Integrative Medizin in die Regelversorgung zu bringen. Prof. Dr. Christan Keßler in Augsburg will zudem daran forschen, „wie Komplementärmedizin evidenzbasiert, sicher und effektiv in die konventionelle Versorgung integriert werden kann – beispielsweise durch Hochschulambulanzsprechstunden, Konsiliardienste und kooperative/integrierte Versorgungsmodelle.“

Eine Übersicht mit Kliniken zu Integrativer Medizin finden Sie auf der Webseite der Initiative „Gesunde Vielfalt“ unter folgendem Link:
Gesunde Vielfalt | Auf einen Blick: Kliniken für Integrative Medizin in Deutschland – Gesunde Vielfalt

Mein Wunsch wäre zumindest eine Klinik für Integrative Medizin
in jedem Bundesland

Prof. Dr. Jost Langhorst, Chefarzt der Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde am Klinikum am Bruderwald der Sozialstiftung Bamberg

Quellen:
1 www.gesundevielfalt.org/auf-einen-blick-kliniken-fuer-integrative-medizin-in-deutschland/
2 www.hufelandgesellschaft.de/integrative-medizin/zahlen-fakten
3 https://www.gesundevielfalt.org/hohe-nutzung-integrative-medizin/
4 https://www.frontiersin.org/journals/medicine/articles/10.3389/fmed.2024.1372924/full
5 https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC1298309/pdf/1471-2458-5-115.pdf
und https://bmcneurol.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12883-018-1037-0%20
und https://www.gesundevielfalt.org/blutegeltherapie-bei-gelenkbeschwerden-und-venoeser-insuffizienz/
und DOI: 10.3238/arztebl.2015.0759
6 https://www.gesundevielfalt.org/integrative-medizin-hilft-das-gesundheitssystem-zu-erneuern/
und https://doi.org/10.1007/s00520-019-04914-x
7 https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/Komplement%C3%A4r/Version_1/LL_Komplement%C3%A4r_Kurzversion_1.0.pdf
8 https://register.awmf.org/assets/guidelines/021-016l_S3_Definition-Pathophysiologie-Diagnostik-Therapie-Reizdarmsyndroms_2022-02.pdf
9 https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/nvl-007
10 https://www.gesundevielfalt.org/wir-wollen-integrative-medizin-in-die-regelversorgng-bringen/
11 https://www.gesundevielfalt.org/beitrage-mussen-nicht-steigen/
und Full article: Overview and quality assessment of health economic evaluations for homeopathic therapy: an updated systematic review
12 https://www.gesundevielfalt.org/wir-ergaenzen-das-pluralistische-system-der-medizin-2/
13 https://www.gesundevielfalt.org/wir-wollen-integrative-medizin-in-die-regelversorgng-bringen/

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